In Gedanken bei dir (German Edition)
und Daddy sind gleich
wieder da, okay?« Dann verkrampfte sich sein Gesicht, und er ließ den Kopf auf
ihre Brust sinken, drückte sein Gesicht in die Falten der Bettdecke und
schluchzte verzweifelt auf. Cassie kehrte um, nahm ihn bei den Schultern und
richtete ihn behutsam auf. Dann folgte sie ihm auf den Gang, schloss leise die
Tür hinter sich, und Nick war allein mit Jolie.
Er
stellte den T-Rex aufs Fensterbrett, umrundete die Infusionspumpe, die mit
bunten Luftballons geschmückt war, und setzte sich auf den Stuhl neben dem
Bett, auf dem eben noch Alex gesessen hatte. Er nahm ihre Hand zwischen seine
Hände und rückte den Stuhl mit einem Fuß hinter dem Stuhlbein näher ans Bett
heran.
Hatte
sie den Kopf gerade ein wenig in seine Richtung gedreht?
Nein.
Jolies
Hand fühlte sich kalt an, wie nach einer Schneeballschlacht ohne Handschuhe.
Mit den Fingerspitzen ertastete Nick ihren Puls, zart wie der letzte Herzschlag
seines toten Kindes.
Als
er eine Hand unter die Bettdecke schob, um sie behutsam auf Jolies Herz zu
legen, stieß er mit den Fingerspitzen gegen Kabel und Plastikschläuche und
zuckte bestürzt zurück.
Nick
zog die Bettdecke höher und stopfte sie um ihren kleinen Körper herum fest, wie
früher, wenn er sie ins Bett gebracht und zugedeckt hatte.
»Jolie?«,
flüsterte er. »Ich bin’s, Nick.«
Hatten
ihre Lider eben geflattert?
Neben
ihrem Bett stand ein Foto von ihnen beiden am Strand. Hatte sie es angesehen,
bevor sie die Augen schloss und ins Koma fiel?
Nick
drückte ihre Hand, aber sie reagierte nicht darauf. Das Gerät, das ihren
Herzschlag maß, piepste regelmäßig, und auch das Schnaufen des Beatmungsgerätes
veränderte sich nicht. Nahm Jolie ihn überhaupt wahr? Spürte sie die Wärme
seiner Hand? Fühlte sie seine Nähe?
Er
betrachtete ihre Lippen, aber Jolie war intubiert, und selbst wenn sie wach
gewesen wäre, hätte sie mit dem Gerät in Mund und Kehle nicht antworten können.
»Jolie,
Süße, ich weiß, ich war lange nicht hier. Und das tut mir leid. Ich hab dich
ganz doll lieb, und vermisse dich so sehr.«
Er
küsste ihre kleine Hand. Dann beobachtete er die Geräte und wartete ab. Nein, da
war keine Reaktion.
»Ich
hab dir einen langen Brief geschrieben. Und den will ich dir gern vorlesen«,
flüsterte er in ihre offene Hand an seinen Lippen. »Hörst du mir zu, Jolie?«
Nichts.
»Wach
auf, Jolie.«
Er
hielt den Atem an, aber nichts passierte.
Ein
Brief an ein sterbendes Kind, für das es keine Hoffnung mehr gab – wie schrieb
man den? Mit bunten Filzstiften, ja klar. Mit Zeichnungen einer Sonne, einem
Regenbogen, Blumen und Schmetterlingen. Aber was schrieb man? Und wie? Traurig?
Gelassen? Heiter? Jolie lebte noch, also hatte er seinen Brief an ein lebendes
kleines Mädchen geschrieben.
Nick
hatte einfach aufgeschrieben, was er gedacht und gefühlt hatte. Das Schönste,
was er in seinem Leben getan hatte, das Ergreifendste und das Erfüllendste war,
ihr Daddy gewesen zu sein. Diese Aufgabe hatte zwei Jahre lang sein Leben
ausgemacht. Das Loslassen war das Letzte, was er jetzt noch für sie tun konnte.
Und wie schwer ihm das als ihr Daddy fiel! Und wie einsam er sich ohne sie und
ihre Mommy fühlte! Und wie sehr er sich danach sehnte, mit ihr vor sich auf dem
Surfbrett zu den Delfinen hinauszupaddeln und mit ihnen zu spielen, zu toben
und zu lachen!
Er
sagte ihr, dass er immer an sie denken würde, auch wenn er ganz weit weg in
Queensland wäre. Dass er in Gedanken immer bei ihr sein würde.
»Ich
habe im Internet einen Stern auf deinen Namen getauft, weißt du. Einen ganz
großen und hellen mit sechs langen Strahlen. Den kannst du von San Francisco
aus sehen, und ich von Cairns aus. Stell dir vor, wie das sein wird, wenn wir
jeden Abend vor dem Schlafengehen gleichzeitig zum Himmel hinaufschauen und
›Jolies Stern‹ funkeln sehen. Und wenn du ihn mal nicht sehen kannst, weißt du
trotzdem, dass er immer für dich da sein wird, so wie ich. Diese Verbindung
zwischen uns ist untrennbar, Jolie, wo auch immer wir auf der Welt sind. Sie
hält für immer und ewig. Ich werde immer für dich da sein, solange dieser Stern
über dich wacht und dich beschützt. Dein Stern am Himmel wird mich leiten, wenn
ich mal nicht weiter weiß. Er wird mich trösten, wenn ich traurig bin. Er wird
mir Hoffnung schenken. Und eines Tages wird er mir den Weg zurück zu dir
zeigen.«
Seine
Stimme brach, als er ihr versprach, dass er jeden Abend auf eine Mail von ihr
warten würde.
Weitere Kostenlose Bücher