In Gedanken bei dir (German Edition)
verbogen
und silbern verblichen. Cassie berührte das schimmernde Holz, das zu Stein
geworden zu sein schien. Begann hier die Blowdown Zone?
Im
Visitor Center fragte sie nach Alex. Er sollte im Johnston Ridge Observatory
sein. Am Ende der Straße. Also weiter.
Je
näher sie dem Vulkan kam, desto spärlicher wurde die Vegetation. Zu beiden
Seiten des Highway gab es keine alten Bäume mehr, nur junge, grüne Wildlinge,
hieß das so? Auf den Hängen lagen Baumstämme und Felsen, und wie sie so auf den
offenen Krater dort vorn zufuhr, vermutete sie, dass die Gesteinsbrocken aus
dem geborstenen Gipfel stammten.
Cassies
Hände verkrampften sich ums Lenkrad, und sie wusste nicht, lag es an dem
Ehrfurcht gebietenden Vulkan, an der schieren Naturgewalt, die hier alles Leben
vernichtet hatte, oder war sie einfach nur angespannt, weil sie gleich Alex
gegenüberstehen würde. Sie wusste nicht, was sie eigentlich empfand. Sie war
nervös, ja klar – Alex und sie waren seit sechs Jahren getrennt. Überreizt,
weil Karen gesagt hatte, dass Jolie sterben würde und Cassie nichts mehr für
sie tun könnte. Ungeduldig, ja aufgeregt, weil so viel von diesem Treffen mit
Alex abhing. Nein, alles : Das Glück ihrer Tochter. Das war alles, was
jetzt noch zählte.
Immer
steiler wand sich der Highway zwischen den Abhängen hindurch und erreichte
schließlich eine Hochebene. Dort war Cassie wieder auf Augenhöhe mit dem Gipfel
des Vulkans. Die Wolke schwebte noch über dem Krater.
Was
für ein Bild: Der Mount St Helens überragte einen Haufen umgestürzter,
zerborstener, zersplitterter Bäume, zwischen den toten Stämmen wucherte das
frische Grün.
Jetzt
war’s nicht mehr weit.
Nur
noch wenige gepresste Atemzüge und pochende Herzschläge.
Dass
der Parkplatz am Johnston Ridge Observatory so groß und voll wäre, hätte sie
nicht gedacht. Und dass hier so viele Baumstümpfe mit Wurzeln standen. Auf
einem hockte inmitten der faserigen Bruchstelle ein Squirrel und guckte sie mit
großen Augen an, als sie ihren Wildtrak einparkte und den Motor ausmachte. Die
Touristenhorden, die mit umgehängten Fotoapparaten und Handys in der Hand zur
Aussichtsplattform des Visitor Centers strömten, störten das putzige
Streifenhörnchen nicht.
Okay,
wo steckte Alex?
Ein
Bus hielt, die Türen öffneten sich, und eine Gruppe Japaner quoll hervor.
Cassie
wollte ihnen schon zum Observatorium folgen, als sie ihn plötzlich sah. Er lud
irgendwelche Geräte auf die Ladefläche seines Geländewagens, der neben dem Weg
zur Aussichtsplattform parkte. Zwei Kollegen vom US Geological Survey, wie er
in Bergstiefeln, Cargohosen und Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln, halfen ihm
dabei. Zwei andere, mit dem Aufnäher des US Forest Service auf den kurzen
Ärmeln, lehnten mit gekreuzten Beinen am Wagen und sahen ihnen dabei zu: Forest
Rangers. Die Kumpels von Smokey Bear.
Scheint
so, als hätte Alex hier oben das Equipment abgeholt, um irgendwo in der
Restricted Area seismische Messungen durchzuführen.
Langsam
ging Cassie auf die Männer zu.
Smokey
Bear’s Kumpels erzählten sich gerade die neuesten Park Ranger Witze, die sie
gegoogelt hatten, johlten und schlugen sich auf die Schenkel.
Alex’
ausgelassenes Lachen, diese unbeschwerte Lebensfreude ...
Überwältigt
von ihren Gefühlen, blieb sie einige Schritte entfernt stehen.
Der
Fahrer eines Geländewagens hupte sie genervt an, ließ den Motor aufheulen und
preschte mit knirschenden Reifen an ihr vorbei.
Einer
der Forest Rangers bemerkte sie, stieß sich lässig vom Wagen ab, richtete sich
auf und ruckelte schneidig seinen Gürtel höher. Mit einem Hut sähe er aus wie
sein Kumpel Mr Bear. »Ma’am? Kann ich Ihnen helfen?«
Die
anderen beruhigten sich kichernd und schnaufend und sahen sie an. Alex wuchtete
die Klappe der Ladefläche hoch und drehte sich zu ihr um.
Keiner
von ihnen rührte sich. Keiner machte den ersten Schritt auf den anderen zu.
Keiner streckte die Hand aus, um den anderen zu berühren.
Der
Schmerz, den sie in sich spürte, heiß am Herzen, trocken in der Kehle, war
Trauer. Cassie trauerte um das, was sie verloren hatte.
Und
auch Alex brachte keinen Ton heraus, kein Wort, kein Seufzen, nicht mal ein
entnervtes Stöhnen, dass sie ohne Vorwarnung hier auftauchte und ihn
überrumpelte, einfach so.
Ja,
okay, sie hätte ihn anrufen sollen. Sie hätte ihm sagen sollen, dass sie kommen
würde, um mit ihm zu reden. Aber gestern Abend war sie sprachlos vor Entsetzen,
und während der
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