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In glücklichen Umständen

In glücklichen Umständen

Titel: In glücklichen Umständen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Cooper
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als sie alle zur Beerdigung kamen? Haben sie es herausgefunden?»
    «Wer? Die Kinder? Aber nein, sie hatten es die ganze Zeit gewußt! Sie dankten mir viele Male, daß ich ihre Illusionen genährt hätte, und forderten mich auf, mir unter den persönlichen Dingen ein Erinnerungsstück auszuwählen.»
    «Und was hast du genommen?»
    «De la Rue.»
    «De la Rue? Du mußt verrückt gewesen sein.»
    «Er brauchte mich, und ich hatte von Lady T. genug gelernt, um zu wissen, daß es das Kostbarste auf der Welt ist, gebraucht zu werden. Sie war so glücklich in dem Bewußtsein, daß ihre Familie ihre Beteuerungen brauchte. Es läuft doch alles auf Liebe hinaus, und ich liebte de la Rue, weil er ihr lieb und teuer gewesen war.»
    «Eines verstehe ich nicht», sagte Ben. «Wenn sie eine so nette Dame war, so freundlich und mitfühlend und all das, warum hat sie nicht de la Rues Auge wieder reingesteckt, wenn es rausgefallen war?» Ich seufzte. In seinen Worten lag die moderne Antipathie gegen Privilegien und bezahlte Lakaien.
    «Hab ich nicht gesagt, daß sie blind wurde? Das war der eigentliche Grund, warum sie mich brauchte - ich sollte ihre Briefe schreiben. Sie bezeichnete mich als ihre Privatsekretärin, damit ihre Kinder glaubten, sie habe weiterhin ein reges gesellschaftliches Leben. Sie ließen natürlich nie durchblicken, daß sie wußten, sie sei völlig erblindet.»
    «Komische alte Nudel.» Aber er klang beeindruckt.
    «De la Rue hat noch vier oder fünf Jahre gelebt. Zuletzt trug er eine Augenbinde und einen Stützstrumpf. Es gefiel ihm. Er stolzierte herum wie dieser Typ von der Schatzinsel. Er war sogar bei Harrods willkommen, wo man ihn natürlich seit Jahren kannte. Man darf dort Hunde mit reinnehmen, wenn man sie auf dem Arm trägt. Eine Freundin trug ihren großen silberhaarigen Afghanen einmal bis in die Buchabteilung hoch, statt ihn unten im Hunderaum zu lassen, wo er immer schrie wie ein wütender Pendler auf der Nordlinie.»
    Aber Ben war noch bei dem legendären Pekinesen. «Warum einen Stützstrumpf?» fragte er.
    «Krampfadern», sagte ich gähnend. Mir war plötzlich schwach vor Nostalgie. Die Vergangenheit scheint unwirklich zu werden, wenn man sie unter die Lupe nimmt, und man fragt sich, was für Reserven man damals hatte, um sie zu überleben. Oder um sie auf immer entschwinden zu sehen.
    Ich schlief in jener Nacht mit Ross’ Brief unter dem Kopfkissen. Manche Leute nehmen Sennesblätter, andere schwören auf Vitamin E, aber ich brauche nur ein klein wenig Romantik. Ohne spezifische Krücken, um unser schwankendes Ich zu stützen, wäre das Leben schwerer zu ertragen. Es gibt mannigfaltige und unerwartete Glücksbringer, und nicht alle stecken in Flaschen oder Röhrchen.

* 6 *

    Sich zu verlieben, hat nichts mit der Ehe zu tun - es ist ein Naturheilverfahren, um die Gesundheit zu bewahren und das Es zu stützen. Ross Washington war in jenem ersten Sommer unangemeldet erschienen und hatte seine zwei Afghanen gebracht, weil er nach Amerika mußte. Wir spürten beide jenes aufflammende Interesse, das bloße Neugier überwiegt, und obgleich es zu keiner verbalen Bestätigung oder physischen Annäherung kam, verliebten wir uns bei vier kurzen Zusammentreffen ineinander - er hatte die Hunde im darauffolgenden Herbst wieder gebracht -, und seitdem hatten wir einige Male telefoniert und uns dann und wann geschrieben. Immer wegen der Hunde, aber mit einem Unterton, der alles andere als geschäftlich war.
    Die schönsten Romanzen beschränken sich auf Seele und Gefühl, oft aus der Entfernung, ohne das Risiko einer Enttäuschung und Desillusionierung. Vielleicht sind es eingebildete Romanzen, doch wenn sich beide Seiten betroffen zeigen, kann es nicht nur Einbildung sein. Es läuft jedenfalls auf einen berauschenden Strudel hinaus, der in keinem Alter schlecht sein kann.
    Ross hatte vielleicht auch mit Hetty geflirtet, und wahrscheinlich gab es woanders in seinem Leben andere Frauen, aber das änderte nichts an dem besonderen zarten Faden, der uns miteinander verband. Ich hatte immer gewußt, daß ich wieder von Ross hören würde. Er wußte, daß ich es wußte, und er wußte, daß ich wußte, daß er es wußte, und das war im Augenblick genug.
    Hetty kam am nächsten Morgen, als ich beim Frühstück die Klatschspalten las. Trotz der Kälte trug sie nicht etwa einen dicken Mantel und ein unvorteilhaftes Kopftuch, sondern Wildlederjeans, einen Kaschmirpullover, der genau dazu paßte, und einen sehr

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