In glücklichen Umständen
langen Schal, so elegant geschlungen, daß er kaum wärmen konnte, aber einen wunderbaren Blickfang abgab. Über einer Schulter hing eine ärmellose Jacke aus Kräuselwolle mit einem riesigen Kragen und einem losen Gürtel. Die Jacke war natürlich weiß, aber alles andere blaßrosa. Dazu kniehohe, cremefarbene Stiefel. Nur Hetty konnte es sich leisten, im tiefsten Winter Sommerfarben zu tragen und auf dem Weg zu einer Hengstkastrierung absolut ätherisch auszusehen. Die Farmer ließen sie aus Neugier kommen - und schworen dann auf sie, weil sie ihre Tüchtigkeit und Erfahrung bewunderten. Das netteste Kompliment, das ich je hörte, kam von einem skeptischen alten Schweinezüchter, einem Frauenfeind, wie er im Buche steht: «Ich muß sagen, sie sieht besser aus als Mary Pickford, wenn sie da hinter der Sau hockt und einen Wurf Ferkel rauszieht.»
Hetty sah Rosie durchdringend an, während sie mich begrüßte. Rosie gab die Suche nach ihrer neuesten Trophäe, einem alten Schnabel, auf und sprang auf einen Stuhl, rutschte dann, als Hetty beschloß, auch diesen und keinen anderen zu nehmen, wieder hinunter und verzog sich. Ich stürzte hin, um das Kissen auszuschütteln, als wäre ich eine Klofrau in der Toilette eines Luxuskaufhauses. «Kaffee?» fragte ich respektvoll und sah zu, wie Rosie wieder angeschlichen kam, um sich die Ohren kraulen zu lassen.
«Nein, vielen Dank. Ich hab heute schon 3 Liter getrunken. Dieser Idiot vom Wetterbericht hat gesagt, in Südengland seien fast 20 Grad minus, und alle Straßen seien vereist. Es sieht zwar aus, als ob es jeden Moment schneit, aber ich finde es nicht sehr kalt. Manchmal glaube ich, die meteorologische Station ist in Alaska, und der Wetterbericht ist eine dieser importierten Sendungen wie . Absolut übertrieben.»
Wenn man sie hörte, konnte man meinen, Gesundheit und Wohlbefinden seien einzig und allein eine Sache der Vernunft und der allgemeinen Einstellung, gekoppelt mit harter Arbeit und bewußter Ernährung. Wahrscheinlich hatte sie recht, aber es war trotzdem ein bißchen beängstigend. Häufige Heimsuchungen - Bakterien, Virusinfektionen, Ungeziefer aller Art und die vereinten Kräfte der Natur und des Menschen — kraft ihres Geistes und ihrer Energie zu besiegen, bereitete ihr ebensoviel Vergnügen wie ihre gelegentlichen Zusammenstöße mit Kunden. Hetty behielt immer die Oberhand, weil sie geschickt, informiert und vor allem voll engagiert war. Neben ihr kam ich mir vor wie ein Regenwurm mit Masern.
Früher hatte ich eine Zeitlang den Verdacht gehegt, ihr Geheimnis liege im Medikamentenschrank ihrer Praxis, doch im Lauf der Jahre wurde mir klar, daß sie ihre Gesundheit tatsächlich mit derselben Strenge beherrschte, die sie gegenüber einem Schäfer walten ließ, der ihre Anweisungen mißachtete. Sie liebte Tiere mehr als die meisten anderen Veterinäre, und sie war logischerweise Vegetarierin und verabscheute Pelze. Letzteres konnte natürlich auch daran liegen, daß ihre Fitneß-Diät kein Fleisch vorsah und daß Pelze so schrecklich unförmig und alt machen. Ihre Haushälterin hatte mir erzählt, daß sie nur einmal am Tag aß, gewöhnlich einen Salat, ab und zu ergänzt durch einen Teller Weizenkleie. Ich betrachtete sie verstohlen und schwor, es eines Tages auch zu versuchen. Um den letzten Augenblick zu genießen, schnitt ich schnell noch eine Ecke Brot ab und eine weitere von einem neuen halben Pfund Butter. Sie gingen mir runter wie ein himmlisches Labsal, und mein Reißverschluß spannte sich wohlig.
Sie warf mir einen verzweifelten Blick zu. «Bist du um die Mittagszeit hier?»
«Ja, so Gott will», antwortete ich und wünschte dieses eine Mal, ich könnte sagen: «Nein, ich lunche mit Rod Stewart im Smith’s Bays» - einem berüchtigten Hotel mit Privatstrand. Aber warum sollte Rod Stewart dort sein, und hatte ich tatsächlich den Wunsch, es mit ihm zu treiben? Ich stellte - nicht zum erstenmal - fest, daß die Wirklichkeit manchmal befriedigender ist als Tagträume.
«Dann komme ich mit den Boisovers und Demelza.»
«Mit wem und was kommst du, bitte?»
«Du hast doch die Welpenzwinger fertig?»
Mit ihrem lederbezogenen Schreibtisch, auf dem sich nie Arbeit ansammelte, ihrer Halbtagssekretärin, ihrem trickreichen Steuerberater und ihrem diensteifrigen Banker konnte Hetty nie Verständnis für meine Methoden aufbringen, für all die Nachschlagwerke, die Notizblöcke, die Zeitungsausschnitte, die alten Umschläge und das
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