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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Rich
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Die-in?«
    »Da simuliert man den Tod«, erklärte das Mädchen. »Um gegen die Ungerechtigkeiten anderer zu protestieren.«
    Ein lauter Gongschlag ertönte, und das dünne Mädchen riss urplötzlich die Augen auf.
    »Es geht los!«
    Laura beobachtete entsetzt, wie die kreischende Anführerin des Demonstrationszuges ein Transparent entrollte (»So viele Kinder werden jede Woche in Bangladesch ermordet«), und noch bevor sie Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, lag sie auf dem schmutzigen Bürgersteig, ihre rechte Wange aufs kalte Pflaster gepresst.
    Wenige Meter entfernt rutschte Sam Katz verlegen auf dem Bauch herum und fragte sich, wohinein er da geraten war. Er hatte nicht mal gewusst, dass eine Demonstration anstand. Er hatte zur Bücherei gehen wollen, als ihm ein entrüstetes Mädchen einen Flyer vor die Nase gehalten hatte.
    »Ist dir egal, ob Kinder sterben?«
    Sam zuckte zusammen. »Mir ist lieber, wenn sie am Leben bleiben, glaube ich.«
    »Dann tu was!«
    Sie schob ihn in die Mitte der Menschenmenge, und bevor er wusste, wie ihm geschah, lag er auf dem Boden, umgeben von Fremden, und fühlte sich einsamer denn je. Seit einer ganzen Woche war er nun schon an der NYU , und der fünf Sekunden lange Wortwechsel mit der Demonstrantin war die längste Unterhaltung, die er bis jetzt hier geführt hatte.
    Direkt vor seiner Nase dröhnte ein Lied aus Bangladesch aus den Boxen. Es war laut, atonal, und es wurde viel geschrien.
    »Takana! Murti! Takana!«
    Die Musik klang verrückt, und Sam merkte erschrocken, dass er darüber lachen musste. Er biss sich auf die Zunge. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, als echter New Yorker durchzugehen; er hatte beim Anblick von Wolkenkratzern gegähnt, Prominente auf der Straße ignoriert, sich Notizen in sein Moleskinbuch gemacht und nur spöttisch gegrinst, wenn ihn jemand anlächelte. Es schien zu funktionieren. Aber wenn er jetzt vor diesen Polittypen zu lachen anfing, würden sie merken, dass er in Wirklichkeit aus Oklahoma stammte.
    »Takana! Takana! Takana!«
    Sam biss die Zähne zusammen. Die Instrumente verstummten – jetzt war der Song reines Acappella-Geschrei. Er spürte, wie das Lachen unaufhaltsam seine Kehle hinaufstieg, so unaufhaltsam wie ein durch Pfefferspray verursachtes Niesen. Er wollte sich gerade geschlagen geben, als er aus nur ungefähr zwei Metern Entfernung ein schrilles Kichern vernahm. Er reckte den Hals und entdeckte ein Mädchen in einem seltsamen braunen Sweatshirt, das sich die Hände vor den Mund hielt. Sie warf ihm ein verlegenes Lächeln zu, und er lächelte zurück, vergaß dabei völlig sein spöttisches Grinsen, vergaß, dass er in New York war, vergaß praktisch alles.
    »Das war’s?«, fragte Eliza. »Das ist der ganze Clip?«
    Craig nickte. »Das war’s.«
    »Wie ist es ausgegangen? Ich meine, nach den Protesten?«
    »Die Chittagong Army wurde noch stärker«, meinte Craig. »Bis heute werden in ihrem Namen Gräueltaten verübt.«
    »Nein«, sagte Eliza. »Ich meine, was wurde aus Sam und Laura?«
    »Oh. Nichts.«
    »Haben sie sich nach der Demo nicht noch unterhalten?«
    Craig schüttelte den Kopf. »Sie treffen sich erst acht Monate später wieder. Hier haben wir’s – Fifteenth Street Ecke Irving.«
    Er klickte den Link an, und Eliza rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl herum, wartete, dass es endlich losging.
    Erde – 12. Mai 2008
    Sam stand auf der anderen Straßenseite des Irving Plaza und versuchte, ganz normal zu atmen. Vor zwanzig Minuten hatte er Laura durch die Fensterscheibe eines Gyros-Imbisses gesehen und war wild entschlossen, sie endlich anzusprechen.
    Es war nicht die erste Gelegenheit – seit Monaten aßen sie in derselben Kantine zu Mittag. Aber wahrscheinlich war es seine letzte Chance in diesem Jahr. Am Freitag war der Unterricht zu Ende gegangen, und am nächsten Morgen um sechs Uhr würde er nach Hause, nach Tulsa, fliegen. Wenn er jetzt nichts unternahm, wer wusste, wann er wieder die Möglichkeit dazu bekäme?
    Er hatte seinen Einstiegssatz bereits einige Male leise für sich geübt, die verschiedensten Entgegnungen abgewogen. Endlich überquerte er die Straße und tippte ihr auf die Schulter.
    »Hey«, sagte er. »Stehst du für das Konzert an?«
    Laura nickte. Sie hatte Sam seit ungefähr zehn Minuten beobachtet, hatte versucht herauszufinden, warum er die ganze Zeit vor sich hin murmelte. Seit der Demo hatte sie ihn kennenlernen wollen, aber ihr hatte der Mut gefehlt, ihn anzusprechen.
    »Ich finde

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