In Gottes Namen
keine Glastür …
Duck dich, wirf einen schnellen Blick rein, um ganz sicher zu sein, ein roter Vorhang, man kann nicht durchsehen, du kannst mich nicht sehen, Shelly, ich komme, Shelly, ich komme …
Schlüpf ins Bad, direkt zum Vorhang, reiß ihn auf, ihre Hände sind in ihrem seifigen Haar begraben, sie will reagieren, rutscht aus.
Sie gibt keinen Laut von sich.
40. Kapitel
Ich hänge mein Jackett an der Tür auf und werfe einen Blick auf meinen Terminkalender. Betty trägt all meine Termine in einen Desktop-Kalender ein, was für mich besser ist als ein kleiner Pocket-Organizer, weil man einen großen Rechner nicht verlieren kann. Ich muss heute nicht ins Gericht, und es gibt nur zwei Termine, die Betty für mich absagen muss. Der größte Teil meiner Arbeit besteht mittlerweile ohnehin darin, Heerscharen von anderen Anwälten zu beaufsichtigen.
Gwendolyn Lake hat das Land in der Woche verlassen, in der die Morde geschahen. Sie fuhr in ihr Haus nach Frankreich und kehrte erst drei Jahre später in die USA zurück. Das passt durchaus zu dem Bild, das sie von sich selbst gezeichnet hat – das ziellos um den Globus jettende Partygirl. Mit ihrem Geld konnte sie sich überall einrichten und schnell Freunde gewinnen. Jedenfalls hat sie es mir gegenüber so dargestellt.
Ich wende mich den Akten des Falles Burgos zu, die Betty freundlicherweise auf dem Boden hat liegen lassen, fein säuberlich in Stapeln an der Wand aufgereiht. Aber dann halte ich inne. Darin werde ich so gut wie nichts über Gwendolyn Lake finden. Sie war damals nicht im Land. Wir haben sie uns nicht vorgeknöpft, weil wir es nicht konnten. Weil kein echter Grund dafür vorhanden schien.
»Verdammt.« Ich fege ein paar Papiere vom Tisch.
War vielleicht Gwendolyn Lake diejenige, die damals schwanger war? Die eine Abtreibung hatte? Sie war eine Waise, die zumindest zum Teil unter der Vormundschaft von Harland und Natalia lebte. Ging sie zum gleichen Arzt wie die übrige Familie? In dieses Sherwood Executive Center?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich von ihr nicht die erhofften Antworten bekommen habe. Und Harland hat den Kontakt zu mir abgebrochen – oder vielmehr ich habe das getan.
Die Briefe. Ich besitze immer noch die Kopien. Sie sind im Moment mein einziger Anhaltspunkt. Ich breite sie vor mir aus und konzentriere mich zunächst auf den zweiten, den Stoletti kommentiert hat.
Werde erleiden rächend das Ende. Zuletzt werden Echos innigster Trauer erschüttert nachhallen. Vernehmlich erschallen. Rührige Sendboten beständig ertragen neue unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Eine innige Teilnahme zeitigt unerschrockene, offenherzige Parteinahme; fordert eine rührige Neugier, auch liebe vollen Betrug an niedergelegten Ideen.
Wie hat Stoletti es ausgedrückt? Die Worte wirken gekünstelt. Aber die Handschrift ist wie gestochen, da hat sie völlig recht. Er hat sich Zeit genommen. Er hat gründlich überlegt. Trotzdem -
Echos hallen nach. Ertönen vernehmlich. Schallen ruhelos. Der Briefeschreiber verwendet mehrmals gleichbedeutende Worte wie nachhallen und schallen. Das ist redundant. Schlechter Stil. Boten ertragen neuerlich ungerechtfertigte Torturen zu einem neuen Zweck. Der gleiche Fehler. Eigentlich braucht er das Wort neuen nicht, da am Anfang bereits neuerlich steht.
Vielleicht ist das wirklich nur schlechter Stil. Versuche ich hier in die wirren Ergüsse eines Verrückten einen nicht vorhandenen Sinn hineinzulesen?
»Mist.« Irgendwas stimmt hier nicht.
Mein Telefon klingelt, ein interner Anruf, aber niemand aus der Kanzlei – die Anruferkennung würde im Display erscheinen. Er stammt auch nicht von Betty, denn sie ist nicht im Büro. Es ist ein Anruf von draußen, der durch die Vermittlung zu mir durchgestellt wurde.
»Paul Riley«, melde ich mich.
»Mr. Riley, hier ist Gwendolyn Lake.«
Wenn man vom Teufel spricht. Ich schweige. Wenn sie mir was zu sagen hat, dann soll sie es tun.
Für einen Moment herrscht Stille in der Leitung. Im Hintergrund gibt jemand laut eine Bestellung auf, man hört Stimmengewirr. Vermutlich telefoniert sie in einem Lokal.
»Ich war gestern nicht ganz ehrlich zu Ihnen«, sagt sie.
»Ich -« Ich beschließe, das nicht weiter zu kommentieren.
»Sie haben sich das bereits gedacht.«
»Ich hatte zumindest den Verdacht.«
»Ich habe gestern gesagt, ich will nicht helfen. Aber ich will es doch. Können wir reden?«
»Zufällig habe ich gerade Zeit.« Ich lehne mich in meinem
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