In Gottes Namen
Entweder erkennt sich mich schon am Gang, oder sie hat irgendwo eine geheime Kamera installiert – jedenfalls weiß sie immer, wann ich mich nähere.
»Ich war bei einer Anhörung«, erkläre ich.
»Um vier haben Sie einen Termin mit Mr. Otis.«
Richtig. Er ist Finanzmanager eines Top-500-Unternehmens, das Steuerbehörden und U.S.-Staatsanwaltschaft im Visier haben, weil Bücher frisiert und falsche Umsatzzahlen für 2003 veröffentlicht wurden. Das Treffen ist eine heikle Angelegenheit wegen des sogenannten Sarbanne-Oxley-Gesetzes, das einen Anwalt von der Schweigepflicht entbindet, sobald er einen wichtigen Wirtschaftsführer vertritt. Lässt ein Manager oder ein Vorstandsmitglied eines Konzerns gegenüber einem Anwalt was von gefälschten Bilanzen verlauten, ist dieser dazu verpflichtet, den Vorgang beim FBI anzuzeigen, andernfalls macht er sich selbst strafbar. Und diese Kommunisten – ich meine, die amerikanische Anwaltskammer – befürworten diese Idee auch noch, weswegen ich die Mitgliedschaft gekündigt habe.
Vor dem Meeting muss ich noch einigen Papierkram erledigen. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Akten, unter anderem Unterlagen, die morgen an eine von Harland Bentleys Firmen rausmüssen. Ein blinkendes Licht an meinem Telefon signalisiert mehrere eingegangene Nachrichten. Fest entschlossen, sie vorläufig zu ignorieren, nehme ich mir zunächst die Post vor. Das meiste sind Rechnungen oder Bitten um Geld verschiedenster Herkunft. Nur eines der Schreiben, in einem schlichten weißen Umschlag, per Hand adressiert, scheint ein persönlicher Brief zu sein. Als ich ihn schüttle, fällt ein gefaltetes Stück Papier heraus, auf dem in großen, handgeschriebenen Druckbuchstaben steht:
Böses ersteht neu. Öffentliche Teilnahme ist gewiss. Er kennt Euer Rätseln Nähe einstiger unvergessener Taten? Ihr Heiden, reuevoll erwartet bald Erhellung. Inzwi schen Herr, ingrimmig lasst Fackelträger erscheinen.
»Offenbar ein weiterer zufriedener Kunde«, seufze ich. Ich falte das Blatt zusammen und lasse es in der Schreibtischschublade verschwinden. Als ehemaliger Strafverfolger – erst im Staatsdienst und dann bei einer lokalen Behörde – erhalte ich regelmäßig Fanpost von Inhaftierten, die sich bei mir für ihren Umzug in die neue Umgebung bedanken. Normalerweise drohen sie mir damit, ein ganz bestimmtes Teil meiner Anatomie zu entfernen. Gelegentlich – und das betrifft vor allem Mitglieder von Gangs, die ich als Bundesanwalt hinter Gitter schickte – haben sie auch zurück zu Gott gefunden und wollen wissen, ob es mir genauso geht. Einmal hab ich sogar geantwortet und geschrieben, ich hätte ihn gar nicht erst verloren.
Ich hole den Umschlag wieder aus dem Papierkorb. Lokaler Poststempel. Irgendwo in der City abgeschickt. Das Ganze erinnert mich an die Post, die wir während des Burgos-Prozesses bekamen – lauter verdrehtes Zeug, in dem mit sämtlichen Höllenstrafen gedroht wurde, und das uns zum Lachen brachte, uns gelegentlich aber auch kalte Schauer den Rücken runterjagte.
Meine Sekretärin Betty kommt herein. »Führen Sie etwa Selbstgespräche?«
»Sind Sie das Böse, das neu ersteht?«, frage ich zurück.
Sie mustert mich, eher missbilligend als fragend.
»Erwarten Sie bald Erhellung«, teile ich ihr mit. Sie nimmt meine Kaffeetasse, schnüffelt misstrauisch daran, verdreht die Augen und verlässt das Büro.
Leo steht vor dem Gebäude von Paul Rileys Kanzlei. Er benutzt ein Erfrischungstuch, das er aus einem Fried-Chicken-Lokal mitgenommen hat, um den Umschlag ein letztes Mal gründlich abzuwischen. Dann lässt er ihn in den Briefkasten gleiten und entfernt sich.
12. Kapitel
Paul Riley, sage ich zu dem Mann hinter der langen Theke vor dem Empfangssaal. Er findet mich auf seiner Liste, zieht mein Namensschildchen hervor und reicht es mir. Es ist recht hübsch gemacht, zumindest im Vergleich zu den üblichen nervigen Ansteckern. Mein Name ist in einer ausgefallenen Schrift gedruckt, und darunter ist der Schriftzug meiner Anwaltsfirma zu lesen. Wenn man mit dem Gouverneur anstößt und der Champagner nicht unter fünfhundert die Flasche kostet, dann dürfen ruhig auch die Namensschildchen etwas origineller sein.
Joel Lightner neben mir nennt seinen Namen und buchstabiert ihn dann erneut, weil er nicht zu den geladenen Gästen gehört. Er ist für den heutigen Abend mein Begleiter, später wollen wir zusammen ein Steak essen gehen und dazu den einen oder anderen Martini
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