In grellem Licht
unbehandeltem Holz.
Ohne ein Wort setzen wir uns hin.
Ich bücke mich und pflücke eine wilde Erdbeere. Sie
schmeckt warm von der Sonne, süß und saftig. Rob sieht
mich merkwürdig an.
»Was ist?« frage ich.
»Nichts.« Er schaut weg. Aber ich glaube zu erraten, was
sein Blick zu bedeuten hat: Früher hast du Erdbeeren nicht
gemocht. Langsam gewöhne ich mich an diese Blicke.
Anscheinend hatte ich vor meiner Operation einen völlig anderen
Geschmack. Damals, so sagt man mir, trug ich nie violette Sachen;
heute liebe ich sie. Damals hörte ich den ganzen Tag lang
Ragliev; jetzt ziehe ich die Klassiker vor, ganz besonders Schubert.
Damals trug ich Ringe und Armbänder und Anstecknadeln; jetzt
liegt ein Haufen Schmuck auf meiner unordentlichen Kommode und setzt
Staub an.
Das Schweigen zieht sich hin. Um es zu brechen, sagt Rob:
»Schau mal, das arme Vögelchen!« Es ist ein Sperling,
der auf einem Beinchen über den Boden hüpft. Auch mit der
Form seiner Flügel stimmt etwas nicht. Ich erinnere mich,
daß es eine Menge deformierter Vögel gibt.
Unbeholfen fliegt der Sperling davon. Ich esse noch eine Erdbeere.
Wiederum Stillschweigen. Rob und ich, wir sehen einander nicht an.
Als ich es nicht mehr ertrage, lege ich eine Hand an den rauhen
SchaumStein. »Was ist auf der anderen Seite?«
Blinzelnd sieht er mich an. »Du erinnerst dich nicht an die
Stadt?«
Lächelnd schüttle ich den Kopf. Seine Augen sind so
blau!
»An überhaupt nichts in der Umgebung?«
»Nein.« Zum erstenmal wird mir klar, daß Rob
natürlich wissen muß, was mit mir geschehen ist, so
daß man mich daraufhin zu den Gedächtnis-Ärzten
schickte. Alle in Aldani House müssen es wissen! Nur etwas, das
schrecklich genug war, um allgemein bekannt zu sein, würde eine
solche Operation rechtfertigen! Warum ist mir das nicht früher
klargeworden? Ich rücke von Rob ab; ich bin durcheinander und
schäme mich plötzlich. Diese Menschen erinnern sich nicht
nur, daß mein Geschmack sich verändert hat; sie
verfügen über essentielle Teile meines Lebens, die mir
fehlen.
»Stoß mich nicht weg, Cam!« platzt Rob heraus.
»Nicht wieder! Nach deinem Lächeln beim Training heute
Morgen dachte ich, hoffte ich… Stoß mich nicht wieder
weg!«
Wieder. Das Wort bereitet mir Unbehagen; er weiß so
viel über mich. Rob bemerkt meine Reaktion und legt mir die Hand
auf den Arm. »Entschuldige, ich darf das nicht tun. Hab keine
Angst, niemand von uns wird dich je darauf ansprechen, was mit
dir… vorher geschehen ist. Niemand. Mister C. und Melita haben
uns das unmißverständlich klar gemacht. Und wir lieben
dich, Cam, das mußt du ja spüren. Ich… liebe
dich.«
Trotz meines Unbehagens sage ich: »Waren wir beide ein
Liebespaar? Vorher?«
Er antwortet nicht. Ich denke wiederum an den einen Teil von mir,
der sich irgendwie anders anfühlt, seit ich wieder zurück
bin… obzwar ich nicht einmal weiß, was ich mit
>anders< meine. Eben anders in meiner Hand, wenn ich dusche
oder masturbiere. Aber alles funktioniert noch bestens – was
für einen Unterschied macht also ein Unterschied?
»Waren wir ein Liebespaar?« wiederhole ich.
»Vorher?«
»Ja«, flüstert Rob. Und dann: »Aber jetzt ist
jetzt. Das ist mir klar. Melita warnte mich, daß… Jetzt
ist jetzt, und es ist ein Neubeginn für dich. Ich bin nur…
froh darüber, daß du nun hier bei mir bist, so…«
Es kostet ihn eine ungeheure Anstrengung, das kann ich deutlich
sehen. Er konzentriert sich, sammelt sich wie vor einem flic
jeté. Dann sagt er leichthin: »Auf der anderen Seite
der Mauer ist eine Straße mit teuren Villen und sehr
hübschen Läden. Wenn du möchtest, können wir sie
uns morgen ansehen.«
Ohne zu denken sage ich: »Ich habe nicht vor, Aldani House zu
verlassen.«
Seine Augen weiten sich. »Nie mehr?«
»Nie mehr.« Ich fühle mich sicher hier.
»Aber… aber du mußt gelegentlich auch
draußen tanzen, vergiß das nicht. Du bist einer der
Haupttänzer. Und in einem Monat geht die Truppe auf
Tournee.«
Auf Tournee, Ich beleuchte den Gedanken von allen Seiten.
Auf Tournee würde bedeuten, mit einem Großteil der Truppe
von einem Ort zum anderen zu ziehen. Sarah und Dmitri und Caroline
und Joaquim. Dazu Yong zu unserem Schutz und Melita für die
Organisation und Rebecca für die Übungen, wie zu
Hause… Jede Nacht vor Fremden zu tanzen, aber auf einer
Bühne und somit weit weg vom unsichtbaren Publikum unten in der
Dunkelheit – ja, das kann ich schaffen. Ich
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