Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
nicke.
»Natürlich. Ich tanze den Verlorenen Sohn.«
    Rob sieht erleichtert aus. »Ja. Gut. Aber du mußt nicht
nach draußen gehen, wenn du nicht willst. Obwohl – da
liegt ein Armband beim Stein der Ewigkeit im Schaufenster, das
sich auf deiner Haut sehr reizvoll machen würde…«
    Scheu hält er seinen Arm neben den meinen. Seine Haut ist
blaß, milchweiß geradezu gegen meine hellbraune. Und da
ist es wieder – das Lächeln und die Blicke und die weit
offenen Augen. Das Elektrisierende.
    Ich erwähne nicht, daß ich keine Armbänder mehr
trage. Doch Rob will nicht den ersten Schritt tun, weil er
weiß, daß ich mich an das Vergangene nicht erinnere und
weil er ein lieber, rücksichtsvoller Junge ist. Mit einemmal
überkommt mich eine Woge der Glückseligkeit, der puren
Freude, die mir sehr bekannt vorkommt, obwohl ich mich nicht daran
erinnere. Ich lache laut auf, beuge mich hinüber und küsse
Rob auf jedes seiner ach so blauen Augen.
    Seine Arme gleiten um mich herum, und wir küssen uns dort auf
dieser Bank an der Steinmauer unter den knospenden Bäumen, und
ich denke daran, welch ein Glück es ist, daß ich diese
Operation an meiner Erinnerung hatte und auf diese Weise alles an Rob
neu entdecken kann, als wäre es das erstemal.

4
    SHANA WALDERS
     
    Der Verein, der den Kongreß berät, tagt nicht im
Capitol, wie ich gedacht hätte. Der Vollzugsbeamte bringt mich
statt dessen zu einem Bürogebäude, das aussieht wie jedes
andere Bürogebäude in Washington, D.C. SchaumStein und
Glas. Ein paar kränkelnde Bäume davor, offenbar zuviel
angepinkelt von den Obdachlosen. Die üblichen Sprüche von
der sozialen Verantwortung, bloß daß diese hier keine
Holos sind, sondern in die Mauer des Gebäudes eingemeißelt
wurden. Überall Geländer, rutschfeste Böden,
medizinische Kontrollgeräte – überall mehr Sicherheit
als Klasse.
    Der Raum, in dem der Beirat tagt, hat auch nicht viel Klasse.
Holztische und Stühle, Stoffvorhänge an den Fenstern,
Kaffeetassen aus Porzellan, ein armseliger flacher
Neunzigzentimeterschirm – man würde annehmen, daß
sich so wichtige Leute etwas Besseres leisten könnten. Rein gar
nichts von dem Zeug, das man auf Vid zu sehen bekommt: tolle
Wandprogrammierungen oder Helligkeitsregler in den Fensterscheiben
oder Holobühnen oder diese Tassen, die sich auflösen,
sobald sie leergetrunken sind. Vielleicht ist dieser Beirat doch kein
so wichtiger Verein, und vielleicht ist mein Bericht auch nicht so
wichtig. Warum haben sie mich dann aber persönlich
hergeschleppt, statt einfach aufzuzeichnen, was ich zu sagen habe?
Und gleich am Tag nach der Explosion des Waggons? Und begleitet von
einem Bundesvollzugsbeamten?
    Ich bin wichtig. Darauf würde ich meinen Arsch verwetten.
    »Rekrutin Walders?« sagt der Sprecher des Beirats.
»Vielen Dank, daß Sie gekommen sind. Bitte setzen Sie
sich.«
    Ich setze mich hin, aufrecht und mit erhobenem Kopf. Er ist
natürlich ein morscher Muffi, aber sein Blick ist scharf. Er
lächelt nicht. Langsam kommen noch ein paar Leute in den Raum,
holen sich Kaffee und plaudern untereinander. Sieben Männer,
fünf Frauen. Außer einem eingeschüchtert wirkenden
Mann in einer Ecke bin ich die einzige Person unter fünfzig. Die
Frauen tragen Anzüge mit weit geschnittenen Hosen, und ihre
Jacken zeigen mehr Farbe als die der Männer. Ich habe meine
Ausgehuniform an. Sie stellen sich vor: Kongreßabgeordnete
dies, Doktor das. Zentrum für Seuchenkontrolle.
Bundesarzneimittelbehörde. Verband der Pharmahersteller.
Expertenteam der staatlichen Samenbanken. Kinderfürsorgeamt. Und
noch einiges mehr, aber ich höre auf, sie mir zu merken.
    Weiter.
    »Rekrutin Walders, bitte nennen Sie dem Beirat Ihr
Geburtsdatum.«
    Das habe ich nicht erwartet. Was, zum Geier, hat es für eine
Bedeutung, wann ich geboren wurde? Ich bin hier, um zu berichten, was
ich gesehen habe! Aber ich antworte schneidig wie ein Soldat:
»Vierzehnter November zweitausendfünfzehn, Sir!«
    »Sie sind also neunzehn?«
    »Jawohl, Sir!« Er kann rechnen. Gratulation.
    »Wie lange sind Sie bereits in der
Zivildiensttruppe?«
    »Zehn Monate und dreizehn Tage, Sir!«
    »In welcher Abteilung?«
    »Armeehilfscorps, Sir.« Das erkennt man doch an meiner
Uniform! Sehe ich vielleicht so aus, als ob ich mich zur
Umwelterneuerung oder zum Projekt Patriot oder zu einer dieser
anderen beschissenen Abteilungen melden würde? Wenn ich meinem
Land schon ein Jahr soziale Verantwortung schulde, warum sollte ich
mir dann

Weitere Kostenlose Bücher