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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Mehr als beim
Drill im ZD. Und so umkreisen wir einander, täuschen Angriffe
vor, aber es dauert trotzdem nur ein paar Minuten, bis ich ihr das
Messer abnehme.
    Zu diesem Zeitpunkt haben sich die beiden schwulen Jungen
längst verzogen. Sie sind zur Tür gewankt, haben mit der
flachen Hand darüber gestrichen und sie dann hinter sich
zugeworfen.
    Sobald ich das Messer von DuFort habe, beginne ich zu rennen. Ich
kenne das Terrain nicht, aber sie kennt es auch nicht. Ich rase durch
die Straßen, bis ich sicher bin, daß sie nicht an meinem
Arsch klebt. Dann werfe ich das Messer weg und nehme einen Zug
zurück zur Kaserne. Dort packe ich fertig, lasse ein Taxi kommen
und fahre zu einem billigen Hotel, wo für gewöhnlich die
ZD-Liebespaare unterschlüpfen. Die Klimaanlage ist kaputt. Ich
liege schwitzend auf dem Bett und denke nach.
    Den beiden Schwulenjungs ist nichts geschehen. Sind in einem
Stück reingekommen.
    Das Gesicht des einen habe ich deutlich gesehen, als er es
hochhob, nachdem Dreamie auf seinem Herzblatt gelandet war.
    Es war ein schönes Gesicht: hellbraune Haut – nicht
weiß, nicht schwarz, nicht asiatisch, nicht
südamerikanisch. Irgendwie von überall ein bißchen.
Fester, schön geformter Mund. Große braune Augen, mit
kleinen goldenen Flecken darin. Kleines, rundes Kinn. Ein
merkwürdiges Gesicht, halb Kind und halb Erwachsener. Ein
Gesicht, das alles sein könnte – in jedem Alter. Ich bin
gut, was Gesichter betrifft. War ich immer schon. Auf diesem
Schauspieler war es zwar fünfzehn Jahre älter, aber ich
habe das Gesicht trotzdem wiedererkannt.
    Es war das gleiche wie auf den drei Schimpansen, die bei dem
Zugsunglück in Lanham von dem Mann davongetragen wurden.
     
    Am nächsten Tag gehe ich zum Bahnhof, um mir ein
öffentliches Terminal zu suchen. Glück, das ich habe, wird
dort gerade einer dieser vertrottelten staatlichen >Tage der
gemeinsamen Verantwortung< abgehalten, und der ganze Bahnhof ist
ein einziger Zirkus. Überall stehen Tische, an denen Ärzte
Impfpflaster anlegen gegen alle möglichen Krankheiten, von denen
morsche Muffis so heimgesucht werden. Es gibt Kabinen, wo
spezialisierte Computer Untersuchungen durchführen, einen Stand,
bei dem es Video-Informationsmaterial gibt, einen Stand, wo Kinder
gratis ihre Großmama-Anna-Puppen und
Mit-vereinten-Kräften-Brettspiele kriegen, und Stände, in
denen diese oder jene staatliche Behörde das Maul vollnimmt. Die
Muffis, die zu solchen Veranstaltungen gehen, schnattern und lachen,
als wäre es ein wahres Fest, in einem staubigen Bahnhof
rumzulatschen und sich vom Doktor betatschen und von der Wohlfahrt
interviewen zu lassen. Die armen Hunde.
    Musik spielt nonstop – ordentlich laut, damit auch ein
Stocktauber sie hören kann. Beknacktes Zeug vom vorigen
Jahrhundert, als diese Mooszähne jung waren. Ich versuche, meine
Ohren vor irgendeinem Furz zu verschließen, der von
>Bridges< über irgendwelchen >Troubled Waters<
heult. Überall dort, wo keine Kabinen sind, stehen Stühle
dicht an dicht, damit die alten Kracher sich hinsetzen können,
oder es gibt zumindest Geländer zum Festhalten, damit sie nicht
hinfallen.
    Um zum öffentlichen Terminal zu gelangen, muß ich mich
zwischen einem Bluttest-Tisch und einem komischen Stand
hindurchzwängen, an dem Haustiere an alte Leute verschenkt
werden. »Verschiedene Studien haben ergeben, daß die
Obsorge für ein Haustier die Lebenserwartung, die innere
Zufriedenheit und den individuellen Gesundheitsindex
erhöht«, erklärt die Endlosschleife eines Holos mit
einer so einschmeichelnden Stimme, daß man auf der Stelle auf
das ganze Programm kotzen möchte. Hinter dem Holo steht ein
Mann, und hinter ihm sieht man aufgestapelt Käfige mit
Kätzchen, Welpen und sogar Hasen. Meine Güte, ich hasse
Hasen. Schauen dich an und zucken mit ihren Nasen, als hätten
sie Angst, du würdest sie gleich zerquetschen – als
hätten sie Angst vor ihren eigenen idiotischen Schwänzchen.
Aber zumindest sehen diese Hasen gesund aus, nicht wie diejenigen,
die wir damals immer häufiger hinter der staatlichen Schule
sahen: denen fehlte mal ein Bein, mal ein Ohr. Und einmal lief mir
eines mit drei Augen über den Weg.
    Zu der lauten Musik kommt also das Gefiepe der Welpen und
natürlich der Lärm der Züge, die auf den Maglevs
reinkommen und abfahren. Es ist ein verdammter Zirkus.
    »Wieviel?« brüllt ein zerfledderter Krauter am
Bluttest-Tisch.
    Die Schwester schreit zurück: »Es ist gratis, wenn Sie
über

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