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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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müssen. Und im Freien ist es mir einfach zu
öffentlich – außer Atuli frequentiert immer noch das
Gäßchen zwischen seiner Unterkunft und dem Center.
Wahrscheinlich aber nicht. So dumm kann einfach niemand sein.
    Ich weiß schon, wie ich ins Center hineinkomme.
    Elektronische Sicherheitssysteme kann man zwar nicht bestechen,
sehr wohl aber die Computersklaven dahinter. Davon kenne ich einige,
aus der Zeit vor dem Zivildienst. Sie sind nicht billig, und ich habe
nicht viel Geld, aber das ist nicht die einzige Möglichkeit,
sich erkenntlich zu zeigen. Die meisten der wirklich guten
Computerfreaks sind alt – sie sind zusammen mit den Computern
großgeworden –, und ich bin ein knackiger
Leckerbissen.
    Es geht alles wie geölt. Der Computermensch bringt mich rein,
und ich finde Atulis Garderobe auf Anhieb, weil sein Name auf
der Programmierung der Tür steht. Danach warte ich. Er
schlendert rein, schließt die Tür und schaltet sein
Holokostüm aus zuckenden Schlangen ab. Dann nimmt er die Maske
runter. Es ist dasselbe Gesicht. Er blickt in den Spiegel,
lächelt sich zu und sieht mich. Ich schiebe mich vor die
Tür.
    Er schreit auf. Ich ziehe eine Betäubungspistole – keine
echte, eine echte kann ich mir nicht leisten, aber dieser Schwuli
kennt den Unterschied nicht –, ziele auf seine Eier und sage:
»Das machst du nicht noch mal. Ehrlich. Nicht noch mal. Und
jetzt sag mir, warum ich dein Gesicht letzte Woche beim
Zugunglück in Lanham auf drei Schimpansen gesehen
habe.«
    Aber es ist, als hätte er mich nicht gehört. Er sieht
sich im Raum um, als müßte es irgendwo eine zweite
Tür geben – die es aber nicht gibt. Der alte
Computersklave, den ich auf einen schnellen Fick rangelassen habe,
hat das Sicherheitssystem nur für zehn Minuten abgestellt –
etwas, das er Mikrointrusion nannte und von dem er schwor, es
würde die Techie-Typen im Kreis rennen lassen, während ich
zu meiner Info kam und mich verkrümelte.
    Also sage ich: »Los! Rede!«
    Und der Schwuli brabbelt: »Ich bin Horethal! Ich bin
Horethal!«
    »Du bist was?«
    Aber mein Computer-Quickie hat mir nicht genug Zeit gelassen
– oder er war nicht gut genug oder er hat mich übers Ohr
gehauen. Jedenfalls fliegt plötzlich die Tür auf, und
jemand mit einer echten Betäubungspistole stürzt rein. Und
ich gehe zu Boden.

8
    NICK CLEMENTI
     
    Omar Khajjam hatte unrecht.
    Der Finger kehrt zurück, nachdem er geschrieben hat, und
bringt die Schrift zum Verblassen, indem er all das, was einst
süß war, sauer erscheinen läßt, weil alles so
schlecht gekommen ist. Der Finger beschmutzt die Erinnerung und damit
die Vergangenheit – die ja einzig und allein Erinnerung ist.
    Mein Sohn war einst ein süßes Kind gewesen. Wir haben
Vids aus seiner frühen Kindheit, als er zwei oder drei Jahre alt
war – Maggie hat eine Menge Videos von den Kindern gemacht.
Vielleicht ganz besonders von John, dem spätgeborenen Kind, dem
einzigen Jungen, mit seinem strahlenden Lächeln und den
großen braunen Augen und der hellen Haut mit den roten,
gesunden Wangen. Vielleicht lag genau hier das Problem: manchmal
wissen schöne Menschen nicht, daß das nicht reicht und sie
früher oder später noch etwas anderes werden
müssen.
    Eines warmen Nachmittags im Juli kehrte ich von dem mühsam
auf den Stock gestützten täglichen Spaziergang zurück,
den ich mir selbst auferlegt hatte. Der Stock, ein altes Stück,
besaß einen geschnitzten Griff in Form eines Eselkopfes. Er
gefiel mir sehr, aber das machte den Spaziergang um nichts leichter.
Jeden Tag wurde er ein Stück kürzer.
    John wartete im Haus auf mich, in einen von Maggies fröhlich
geblümten Sesseln geflegelt, und trank Bourbon. Mit finsterem
Gesicht. Ich wappnete mich geistig – mit diesem winzigen, kaum
merkbaren Hochziehen eines mentalen Schildes, das so bestürzend
ist, wenn es angesichts des eigenen Kindes geschieht.
    »Hallo, John.«
    »Dad.«
    »Nett, dich mal wieder zu sehen. Wo ist deine
Mutter?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich habe mich selbst
reingelassen.« Er nahm die Flasche von der Anrichte und
goß sich Bourbon nach. »Interessiert dich gar nicht, wieso
ich um diese Zeit hier bin?«
    Es war 14 Uhr 30. »Doch, doch. Laß mich nur einen
Augenblick verschnaufen… Kann ich dir was bringen?«
    »Danke, ich hab, was ich brauche.«
    Ich stellte meinen Spazierstock zur Seite und goß mir einen
Scotch ein. Maggie hatte einen Korb mit Rosen und Heliotrop in den
offenen Kamin gestellt, und der schwere Duft

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