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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Rekrutin Walders?«
    Diese gleichmütige Reaktion schien sie aus der Fassung zu
bringen. »Also, die haben mich verhaftet! Und ich finde, Sie
sind verpflichtet, mir zu helfen!«
    »Und wieso das? Weil ich daran schuld bin, daß man Sie
verhaftet hat?« Wiederum ein versteckter Vorwurf. Genau wie von
John…
    Mit grimmig finsterem Gesicht sah sie mich an.
    »Na ja, das nicht. Das hab ich schon mir selbst
zuzuschreiben.«
    Ich setzte mich hin. »Haus, bitte transferiere diesen Anruf
zurück auf dein System.« Shana Walders’ Gesicht
erschien auf meinem Wandschirm. Ihr goldblondes Haar war eine
verfilzte Masse, und auf der linken Wange sah man eine
blutunterlaufene Stelle. Sie hatte sich der Festnahme widersetzt,
nahm ich an.
    Sie sagte: »Ich bin daran schuld, daß ich verhaftet
wurde, aber Sie sind daran schuld, daß ich nicht in die
Armee kann! Diese Einvernahme vor dem Kongreßbeirat! Also denke
ich, Sie sollten mir jetzt helfen.« Pause.
»Bitte.«
    »Ich sehe wirklich nicht ein, weshalb ich…«
    »Die erlauben mir nur diesen einen Anruf!« unterbrach
sie mich und begann zu weinen. Plötzlich sah sie sehr jung aus
und sehr wehrlos.
    »Rekrutin Walders, Tränen haben keine Wirkung auf
mich«, sagte ich streng, und augenblicklich versiegten die
Tränen. Sie war wandlungsfähig. »Hingegen bin ich
logischen Argumenten durchaus zugänglich. Warum erklären
Sie mir nicht in aller Ruhe, was geschehen ist?«
    »Na gut. Ich habe den Jungen gefunden, dessen Gesicht auf
diesen blöden Schimpansen war.«
    Das zu hören hatte ich wirklich nicht erwartet. »Und wie
haben Sie das zuwegegebracht?«
    Sie schilderte mir die ganze hirnlose Geschichte, beginnend mit
dem Überfall der Mädchen auf die beiden jungen Männer.
Diese Sorte stumpfsinniger Fanatismus war mir an sich schon zuwider,
aber so gesehen war mir das ganze gegenwärtige politische Klima
zuwider. Also hörte ich schweigend zu – von der Suche nach
dem richtigen Tänzer über ihr schlecht geplantes Eindringen
in das International Center bis zu ihrer Festnahme.
    »Rekrutin Walders, hat die Behörde eine Wahrheitsdroge
angewendet?«
    »Natürlich! Ich sagte, das könnten sie ruhig tun.
Ich habe nichts zu verbergen!«
    Shana Walders’ Augen starrten mich zornig an. Sichtlich war
man noch nicht zu einer jener anderen Drogen übergegangen, die
man einsetzte, um Gefangene in einem System unter Kontrolle zu
halten, das finanziell so kurz gehalten wurde, daß gelegentlich
eine Schicht lang im ganzen Gefängnis nicht mehr als zwei
Aufsichtspersonen Dienst taten. Shana war so wild, so lebhaft, so
entschlossen, sich das, was sie erreichen wollte, hart zu
erkämpfen.
    So gar nicht wie John.
    »Also gut«, sagte ich. »Wider bessere Einsicht
werde ich hinüber kommen und Kaution für Sie
stellen.«
    »Danke!« rief sie und lachte mich durch plötzlich
gesenkte, plötzlich feucht glitzernde Wimpern an. Es war, als
würde die Sonne aufgehen. Sie war doch gewiß nicht so
dumm, es bei mir mit der erotischen Masche probieren zu wollen?
Maggie hätte sich königlich amüsiert.
    »Verdreschen Sie nur niemanden, bevor ich da bin!« sagte
ich und stand langsam auf, um wieder nach meinem Spazierstock zu
greifen.
     
    »Und wo wohnen Sie?« fragte ich Shana auf meinen
Spazierstock gestützt. Wir standen vor dem
Provinzgefängnis, das für die beträchtliche Zahl von
Häftlingen benutzt wurde, die in Washington nicht mehr Platz
fand. Die Kaution war natürlich nur Formsache gewesen. Das
System war gezwungen, so wenige Personen wie nur möglich in den
Gefängnissen einsitzen zu haben, und wenn sie nicht wirklich
jemanden zum Krüppel geprügelt hatten, dann behandelte man
Achtzehnjährige mit allergrößter Nachsicht. Sie sind
ja der größte Reichtum der Nation, wie uns die
Anzeigenkampagnen andauernd versichern. In Wahrheit existieren die
allgegenwärtigen Holosprüche des Projekts Patriot nicht, um
uns alte Leute, die wir genau wissen, wie abhängig wir sind von
der jugendlichen Arbeitskraft, an diese Tatsache zu erinnern, sondern
um die jungen Leute an ihre Verpflichtungen uns gegenüber zu
gemahnen: durch Schmeichelei, durch Appelle an den Gemeinschaftssinn,
durch alles, was wirksam sein könnte. Dein Land braucht DICH!
    »Ich wohne nirgendwo«, sagte Shana. »Ich bin
ziemlich pleite.« Sie sah mich erwartungsvoll an und rückte
näher.
    »Rekrutin Walders, wollen wir doch eines von vornherein
klarstellen. Ich bin alt genug, um Ihr Großvater zu sein. Oder
sogar Ihr Urgroßvater.

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