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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ihn
ab.
    »Laß mich in Ruhe. Jetzt und in Zukunft. Ich will
keinen Liebhaber, den es nicht interessiert, was ich möchte und
brauche. Meinetwegen vögle jemand anderen!« Und so lasse
ich ihn dort sitzen, in Tränen aufgelöst, und schlage die
Tür hinter mir zu.
    In der entferntesten Ecke des Gartens, gleich an der Mauer, werfe
ich mich der Länge nach auf die Bank. Nichts ist mehr so, wie es
sein soll. Aber selbst als ich Angst hatte vor den Träumen mit
den Tieren und vor dem Soldatenmädchen, konnte ich noch tanzen.
Wenigstens das hatte ich noch. Aber wenn diese Sache mein Tanzen
beeinträchtigt… o Gott, wenn es mich soweit bringt,
daß ich nicht mehr tanzen kann…
    Wenn ich nicht tanzen kann, möchte ich lieber tot sein.
    Dieses Soldatenmädchen. Sie weiß, was mit mir geschehen
ist. Ich weiß, daß Sie eine Operation hatten, weil ich
das Resultat gesehen habe…
    Ich habe sie einmal in Washington gesehen, einmal in New York. In
welcher der beiden Städte lebt sie? Ich kenne nicht einmal ihren
Namen.
    Eine halbe Stunde später fällt mir ein, daß der
Sicherheitsdienst im International Center ihren Namen haben
muß. Sie kamen ja in meine Garderobe und führten sie ab,
um sie zu vernehmen. Und eine Anzeige wurde gemacht; es muß
einen Polizeibericht geben.
    Nur zwei Vid-Anrufe: der erste, mit dem ich Einsichtnahme in den
Polizeibericht beantrage, liefert mir den Bericht auf den Schirm,
sobald meine Identitätsnummer beweist, daß ich das Opfer
bin. Der Name des Mädchens ist Shana Irene Walders. Keine feste
Adresse.
    Das quält mich eine Weile, ehe mir klar wird, daß sie
vor Gericht erschienen sein muß – vielleicht ist sie
irgendwo im Gefängnis, und ich kann sie besuchen. Ist das
erlaubt? Keine Ahnung. Und ich weiß auch nicht, wie ich das
herausfinden könnte, also klicke ich mit dem Hinweis auf
Eilgebührverrechnung einen Datensucher mit dem Recht zur
Einsichtnahme in öffentliche Dateien an; der Datensucher ist
eine Frau, die mich fast augenblicklich zurückruft, und ich sage
ihr, was ich von ihr will.
    Fünfzehn Minuten später ruft sie wieder an. »Shana
Irene Walders wurde am Freitag, dem 14. Juli 2034 beim Obergericht
von Washington, D.C. des unbefugten Eindringens, des tätlichen
Angriffs auf einen Sicherheitsbeamten und des versuchten
tätlichen Angriffs auf eine zweite Person angeklagt. Die Kaution
für die vorläufige Freilassung wurde auf 10 000 Dollar
festgesetzt und von einem Doktor Nicholas Clementi hinterlegt. Miss
Walders wurde bis zur Verhandlung, welche für 31. Juli anberaumt
ist, auf freien Fuß gesetzt. Als >vorübergehende
Wohnadresse< gab sie den ständigen Wohnsitz von Doktor
Nicholas Clementi, Sturges Drive 1396, Bethesda, Maryland, an.
Wünschen Sie weitere Nachforschungen?«
    »Nein«, sagte ich. »Verrechnen Sie über meine
Identitätsnummer.«
    »Vielen Dank für Ihren Auftrag.«
    Shana Walders in Bethesda. Heute Abend habe ich Vorstellung –
nein, ich kann nicht. Ich kann die Rolle nicht tanzen. Mitchell wird
weitermachen müssen, sie können ankündigen, daß
ich verletzt bin, oder sie können einfach so tun, als würde
ich unter Mitchells Maske stecken… Mein Kopf fühlt sich an,
als wäre er vollgestopft mit etwas Scharfem, Spitzem,
Gefährlichem wie kleinen Nägeln, und wenn ich eine falsche
Bewegung mache, stechen sie in mein Gehirn, und ich sterbe.
Bloß bin ich schon tot, wenn ich nicht tanzen kann. Heute Abend
kann ich jedenfalls nicht tanzen, ich würde schwanken und
straucheln… Ich kann nicht zurück zur Probe. Oder zur
Vorstellung. Wie lange werden sie auf mich warten? Alle werden
annehmen, ich komme wieder einmal zu spät. Dabei komme ich nicht
zu spät: ich komme gar nicht mehr. Der allzufrüh
dahingegangene Cameron Atuli, so jung, ein kostbares nationales
Kleinod, welch ein Jammer, sich so auf dem Höhepunkt seiner
Karriere einfach umzubringen…
    Falls ich nicht mehr tanzen kann.
    Ich gehe zum Gartentor, trete hindurch und verlasse Aldani
House.
     
    Sturges Drive dreizehnhundertsechsundneunzig in Bethesda ist ein
großes altes Haus. So große Häuser baut man jetzt
nicht mehr, hat Rob mir erklärt, denn in den meisten wohnen
ohnehin nur ein oder zwei Personen. Doktor Nicholas Clementis Haus
hat einen kleinen Vorgarten und große alte Bäume an den
Seiten und dahinter. An einem Ast hängt eine altmodische
hölzerne Schaukel. Die Nachmittagsbrise raschelt in den
Blättern, und alles ist in goldenes Licht getaucht wie der
Vorhang vor dem zweiten Akt von

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