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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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Bibel. Ein Spruch, nur ein Spruch, genau wie Unkraut verdirbt nicht und Geht nicht, gibt’s nicht, aber es wirkte. Caras Panik war auf einmal weg.
    Ula nickte kurz, dann drehte sie sich um und ging die Treppe nach oben. Ihre Füße waren nackt, ihre Schritte waren nicht zu hören. Cara und Vitali folgten ihr zu ihrer Wohnung und traten in ihren Flur, in dem es wieder nach Räucherstäbchen und Kräutertee roch. Und gingen durch den klackernden Perlenvorhang ins Wohnzimmer, wo Ula vor der sechsarmigen Göttin saß. Sie saß im Schneidersitz auf einem Kissen, die Hände auf ihre Knie gelegt, die Daumen berührten die Fingerspitzen.
    Cara nahm auf einem anderen Kissen Platz und Vitali zögerte kurz, dann setzte er sich auf einen Stuhl an der Wand. Cara kam sich plötzlich vor wie im Theater. Sie und Ula waren die Schauspieler, Vitali war das Publikum.
    Sie wartete darauf, dass Ula zu sprechen begann, aber diese blickte versonnen zu Boden.
    Cara räusperte sich. »Warum wollten Sie mich sprechen?«
    »Das wissen Sie doch«, sagte Ula, ohne den Blick zu heben.
    »Ich weiß überhaupt nichts«, sagte Cara. »Worum geht es denn? Um Helena?«
    »Nein«, sagte Ula. »Es geht um Tom. Er wurde umgebracht.«
    »Das weiß ich doch.«
    »Ich habe ihn beobachtet. Ich habe Ihre Schwester gesehen. Und ich habe gehört, wie sie mit ihm gestritten hat.«
    »Sprechen Sie von der Mordnacht? Sind Sie die Zeugin, die Helena da reingeritten hat?«
    »Sie haben oft gestritten«, sagte Ula.
    »Wie haben Sie das mitbekommen?«
    »Ich spüre das. Wut, Hass, Unzufriedenheit.«
    »Deshalb ist Helena in U-Haft gekommen«, sagte Cara. »Weil Sie gespürt haben, dass sie und Tom sich gestritten haben?«
    »Am letzten Samstag habe ich sie auch gehört. Reiß dich zusammen . Das hat sie immer wieder zu ihm gesagt.«
    »Waren Sie eifersüchtig?«
    »Auf Tom?«
    »Auf Helena. Waren Sie sauer, dass Tom Sie nicht beachtet hat?«
    Ula lächelte. »Sie weiß genau, was sie will, Ihre Schwester.« Sie wich Cara aus, sie entzog sich ihr.
    »Helena hat Tom nicht umgebracht.«
    »Nein«, sagte Ula. »Aber sie hätte es getan. Wenn er sie gedemütigt hätte, hätte sie ihn umgebracht.«
    »Wenn er sie gedemütigt hätte?«, wiederholte Cara. »Was soll das denn heißen? Können Sie nicht einfach mal Klartext reden? Was soll denn dieses Geschwafel? Ich glaube, in Wirklichkeit haben Sie gar nichts mitbekommen und wollen sich nur wichtigmachen.«
    Sie wollte aufstehen, sie wollte weg, aber nun hob Ula den Kopf und sah Cara an und ihr Blick griff nach ihrem Herzen und hielt es fest.
    »Was ist geschehen?«, fragte Cara, obwohl sie es gar nicht fragen, obwohl sie es gar nicht wissen wollte.
    »Sie wissen es doch, Cara«, sagte Ula sanft. »Sie wissen es doch längst.«
    Da kam Caras Erinnerung wieder zurück. Es war, als ob jemand einen Vorhang aufzog und dann ins Licht trat, jemand, der die ganze Zeit schon da gewesen war, dessen Anwesenheit sie gespürt hatte. Sie hätte ihn auch schon vorher gesehen, wenn sie richtig hingeschaut hätte.
    Der Besucher aus ihren Träumen.
    Stand jetzt im Licht.
    Und Cara sah ihn an und sah sich selbst.

 
    abbitte
     
    ich schreibe einen brief
    schreibe
    es tut mir leid
    leider
    am leidesten
    vergib mir
    meine schuld
    schreibe ich
    und stecke das blatt
    in ein kuvert
     
    aber wer kennt die adresse
    der toten

22
    Sie hatte an jenem Abend nicht einschlafen können. Aus Sorge um Helena, vielleicht auch wegen dieser Pille, die sie geschluckt hatte. Sie lag im Bett und lauschte in die Dunkelheit und hörte ihr Herz klopfen und dann hörte sie, wie Helenas Tür aufging. Ein leises Quietschen und behutsame Schritte im Flur und auf der Treppe.
    Cara sprang auf und schlüpfte in ihre Jeans. Und folgte Helena, ohne genau zu wissen, warum sie ihr folgte. Es war eine unbestimmte Angst, die sie antrieb.
    Helena wollte zu Tom, das war Cara klar, sie wollte ihn zur Rede stellen. Ein Gespräch unter vier Augen, eine Auseinandersetzung, bei der Cara nichts verloren hatte.
    Und dennoch schlich auch sie sich jetzt aus dem Haus auf die Straße, wo Helena gerade eben ihr Auto aufschloss und einstieg. Und dann wegfuhr. Obwohl sie dafür viel zu viel getrunken hatte.
    Cara starrte den Rücklichtern nach, bis sie in der Nacht verschwunden waren, und beschloss, wieder ins Bett zu gehen, aber stattdessen ging sie in den Keller und holte ihr Fahrrad.
    Sie brauchte eine gute Viertelstunde in die Arminstraße. Als sie an Toms Haus ankam, parkte Helenas

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