In guten wie in toten Tagen
Studium. Wenn Tom nicht ermordet worden wäre.
Dachte Cara und dann ging die Tür auf. Vor ihr stand eine zierliche, hübsche blonde Frau, die unübersehbar schwanger war. Ihr Bauch war so riesig, dass Cara sich nicht gewundert hätte, wenn sie das Gleichgewicht verloren hätte und die vier Stufen vor der Tür hinuntergefallen wäre.
»Was gibt’s denn?«, fragte die Frau.
»Ich bin Cara. Ich wollte zu Ihrem Mann.«
»Sven ist beim Sport«, sagte Frau Seidelmann. »Sind Sie mit ihm verabredet?«
Cara schüttelte den Kopf. »Meine Schwester war mit Tom Schenker verlobt. Die beiden wollten heiraten.«
Die Augen der Frau weiteten sich. »Ach, du liebe Zeit. Das tut mir leid.«
»Kennen Sie Helena?«
Die Frau zögerte einen winzigen Moment lang. »Ja«, sagte sie dann. »Natürlich kenne ich sie.«
Cara nagte an ihrer Unterlippe. »Kann ich vielleicht kurz reinkommen?«
»Mein Mann ist nicht da, das hab ich doch schon gesagt. Er kommt auch bestimmt nicht vor neun Uhr nach Hause.«
»Ich würde gerne mit Ihnen reden. Nur ganz kurz.«
»Meinetwegen«, sagte Frau Seidelmann, aber das Ganze war ihr unangenehm, das merkte man daran, wie sie ihre Arme über dem Bauch verschränkte und die Lippen aufeinanderpresste, als Cara jetzt ins Haus trat.
Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Cara sah den Fernseher flackern, daneben stand ein rüschenverzierter Stubenwagen. Die Decke war zurückgeschlagen, als könnte das Baby jede Sekunde zur Welt kommen und bräuchte dann sofort ein Bett.
»Was gibt’s denn?« Frau Seidelmann blieb im Flur stehen, die Hände auf den Bauch gelegt.
»Meine Schwester sitzt in U-Haft«, sagte Cara und fragte sich gleichzeitig, wie oft sie diesen Satz in den letzten drei Tagen gesagt hatte. Oft genug jedenfalls, dass er ihr jetzt ganz leicht über die Lippen ging. »Ich glaube aber nicht, dass sie Tom umgebracht hat. Und nun …«
»Schrecklich«, sagte Frau Seidelmann. »Das Ganze ist wirklich schrecklich. Wir können es immer noch nicht glauben, dass Tom tot ist.«
»Erzählen Sie mir von ihm«, sagte Cara. »Ich habe in den letzten Tagen so viele unterschiedliche Dinge über ihn gehört, dass ich das Gefühl habe, ich habe ihn nie gekannt.«
»So richtig gut kannte ich ihn auch nicht. Er war ja eher mit meinem Mann befreundet.« Frau Seidelmann zögerte. »Er war nett. Lustig. Sehr beliebt bei den Schülern, sagt Sven. War ja auch Vertrauenslehrer und so.«
»Sind Sie auch Lehrerin?«
»Nein. Ich bin Erzieherin. Wieso?«
»Ich dachte nur. Wie lange kannten Sie Tom?«
»Ich hab ihn durch Sven kennengelernt. Vor vier Jahren etwa.«
»Aber Sie mochten ihn nicht.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nur so ein Gefühl«, sagte Cara.
Frau Seidelmann starrte verdrossen auf den Stubenwagen. »So kann man das nicht sagen.«
»Wie denn dann?«
»Na, mein Mann und Tom – das war manchmal anstrengend, das muss ich zugeben.«
»Was war anstrengend?«
»Tom war ein Chaot. Er war furchtbar unorganisiert. Hat seinen Unterricht nie richtig vorbereitet. Die Klassenarbeiten monatelang nicht korrigiert und so. Er hat ständig vergessen, seine Rechnungen zu bezahlen, einmal haben sie ihm sogar den Strom abgestellt, weil er alle Mahnungen ignoriert hat. Und das Ganze passierte nicht, weil er kein Geld hatte – es war die reine Schlamperei.«
»Was hat das mit Ihnen zu tun?«
»Jedes Mal, wenn wieder einmal etwas schiefgegangen war, hat er hier bei uns angerufen. Dann musste Sven kommen und alles wieder richten. Und das hat er auch getan, am Ende hat Tom immer die Kurve gekriegt. Aber dass er alles Sven zu verdanken hatte, das wusste keiner.« Frau Seidelmann lächelte bitter. »So war es immer. Schon im Studium.«
»Frau Ehlers hat mir erzählt …«
»Nathalie«, unterbrach sie Frau Seidelmann. »Bei der waren Sie also auch schon?«
»Ich will mir ein Bild von der Sache machen. Natürlich spreche ich mit allen, die mir dabei helfen können.«
»Bei Nathalie war es genau das Gleiche. Sie hat Tom immer bemuttert und ihm den Rücken freigehalten.« Frau Seidelmann schüttelte den Kopf. »Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn die beiden ihn mal hängen gelassen hätten. Wenn er die Konsequenzen seiner Schlamperei mal selber hätte ausbaden müssen. Aber was soll’s. Jetzt ist es eh zu spät.«
»Und meine Schwester sitzt dafür im Gefängnis. Wie war denn ihre Beziehung so, was meinen Sie?«
»Die Beziehung zwischen Tom und Helena?« Frau Seidelmann zögerte. »Ich war, ehrlich
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