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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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sprechen.«
    »Woher kennst du denn Annika?« Helena verzog das Gesicht.
    »Reiner Zufall«, meinte Cara. »Ist jetzt zu kompliziert, das zu erklären. Warum mochte sie Tom denn nicht?«
    »Sie war eifersüchtig. Es passte ihr nicht, dass Tom und Sven so gute Freunde waren. Dass Sven etwas hatte, auf das sie keinen Einfluss hat. Sie will ihn besitzen, ganz und gar, mit Haut und Haar.« Sie lachte. »Mich mag sie übrigens auch nicht. Auch wenn sie dir vielleicht das Gegenteil erzählt hat. Sven fand mich dagegen immer ziemlich gut.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, wenn ich nicht mit Tom zusammen gewesen wäre, hätte er bestimmt sein Glück bei mir versucht, Annika hin oder her. Er hat mich immer so sehnsüchtig angeguckt. Ich denke, das war ihr klar, so was spürt sie sofort. Vielleicht ist sie überhaupt nur deshalb schwanger geworden, um ihn noch mehr an sich zu ketten.«
    Ich war überzeugt, dass die beiden kurz vor der Trennung standen, hörte Cara Frau Seidelmann wieder sagen. Ihr Kopf dröhnte. Nichts passte zueinander, alles widersprach sich.
    Die Wärterin blickte auf ihre Uhr und räusperte sich.
    »Frau Seidelmann hat mir auch erzählt, dass Papa und Tom sich gehasst haben.«
    »Gehasst?« Helena lachte laut. »Warum sollte Papa Tom hassen?«
    »Keine Ahnung. Sag du es mir.«
    »Papa war genervt. Weil Tom sich so wenig um die Hochzeit gekümmert hat. Er hat die ganzen Vorbereitungen mir überlassen. Und Papa. Ach, das ist ja jetzt alles so was von egal.« Ihre Stimme klang auf einmal dünn und brüchig. Sie rieb mit ihren Fäusten in ihren Augen wie ein müdes Kind.
    »Bitte verabschieden Sie sich jetzt«, sagte die Wärterin.
    »Brauchst du irgendwas, Helena?«, fragte Cara hastig. »Soll ich dir ein bestimmtes Buch besorgen oder was zum Essen? Oder irgendwas anderes?«
    »Ich hab Papa schon eine Liste mitgegeben«, sagte Helena. »Aber was ich wirklich möchte, das kannst du mir nicht geben.«
    »Was möchtest du denn?«
    »Ich will Tom zurück, meinen Tom«, sagte Helena und Cara musste an May denken, die heimliche Witwe, die Tom ebenfalls zurückwollte, aber davon ahnte Helena nichts.
    »Ich will unsere gemeinsame Zukunft und unsere Träume und unser Leben wiederhaben. Ich will meine Freiheit«, sagte Helena.
    »Ach, Helena«, sagte Cara mit belegter Stimme. Sie hätte Helena so gerne umarmt. Oder wenigstens ihre Hand genommen. Aber da war diese verdammte Plastikscheibe im Weg.
    »Ach, Cara«, seufzte Helena. Und dann schwiegen sie beide.
    »Wenn ich’s mir recht überlege«, sagte Helena, »vielleicht wäre eine Feile doch nicht so schlecht.«
    »Ihre Zeit ist um«, sagte die Wärterin und stand auf.
    Während ein Beamter Cara zurück zum Ausgang brachte, musste sie an Sergej denken. Der auch irgendwo in einem dieser Gebäude einsaß. Sechs Jahre wegen Totschlag. Und dann? Ein Russe ohne Schulabschluss, ein verurteilter Gewalttäter. Er würde doch niemals einen Ausbildungsplatz finden. Für ihn war sein Leben gelaufen.
    Vitali würde ihn unterstützen. Falls ihn die Sache mit dem Kind nicht zu sehr verstört hatte.
    »So, da wären wir«, sagte der Wärter, als sie die Empfangshalle erreicht hatten. »Schönen Tag noch.«
    Cara trat durch das Tor auf den Parkplatz. An ihrem Auto lehnte Vitali.
    Sie wollte auf ihn zugehen, aber da war plötzlich wieder das Gummiband, das sich um ihre Brust schlang und sich langsam zusammenzog. Sie begann zu zittern, obwohl es im Freien viel wärmer war als in der Anstalt.
    »Hi, Cara!« Vitali stieß sich von ihrem Wagen ab und kam auf sie zu. Er lächelte, aber als er sich näherte, wandelte sich sein Gesichtsausdruck, er wirkte verwundert, irritiert, besorgt, erschrocken. Mir geht es nicht gut, irgendetwas stimmt hier nicht, wollte Cara sagen, ruf einen Arzt, wollte sie sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus.
    Ihr Herz raste jetzt wie verrückt, ihre Hände verkrampften sich, ihr Körper schmerzte, als wäre sie bis zur Erschöpfung gerannt. Sie rang nach Atem, sie bekam keine Luft, obwohl sie immer schneller und tiefer atmete.
    »Was ist los, Cara?«, fragte Vitali und legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie war so angsterfüllt und verzweifelt, dass sie sich einfach fallen ließ und ihr Gesicht an seine Schulter legte. Er fing sie auf und hielt sie fest und suchte gleichzeitig in seiner Jacke nach seinem Handy. »Ich ruf einen Krankenwagen.«
    Ihr Kopf lag immer noch an seiner Schulter. Sie atmete seinen Geruch ein, er roch nach Erde und Gras und frischen

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