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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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»Die Leute drucken sich doch heute alles selber aus.«
    Inzwischen war es kurz vor eins und Cara musste zurück zur Arbeit. Zwei Fotostudios standen noch auf ihrer Liste, eines davon lag gleich um die Ecke. Das konnte sie noch erledigen.
    Vitali und die anderen wären jetzt ohnehin in der Mittagspause, keiner würde es merken, wenn sie ein bisschen später zurückkam.
    Der Fotograf wollte auch gerade in die Pause, er schloss soeben die Ladentür ab. Aber als er Cara sah, machte er sie noch mal auf. »Möchten Sie einen Termin vereinbaren?« Er musterte sie von oben bis unten, ein bisschen genervt, ein bisschen neugierig, ein bisschen aufdringlich. Sie wusste sofort, dass er es war.
    Ein großer Mann. Breite Schultern, muskulöse Oberarme, rasierter Schädel, grauer Dreitagebart. Winzige Fältchen in den Augenwinkeln. Cara schätzte ihn auf Mitte vierzig. Vielleicht war er auch schon älter. Ein sportlicher Typ, der seinen Körper in Schuss hielt. Der sich pflegte. Der Samstagnacht in die Disco ging und eine Zwanzigjährige aufriss.
    Sie schielte auf seine rechte Hand. Ein goldener Ehering, aber das bedeutete nichts. Einen Ring konnte man abnehmen.
    »Sie sind Jürgen«, sagte sie.
    »So heiße ich.« Er zwinkerte ihr zu und fuhr dabei mit der flachen Hand zur Schläfe, als ob er salutierte. »Was gibt’s denn?«
    »Ich bin … ich möchte …« Verdammt. Warum hatte sie sich keine Fragen zurechtgelegt? »Gehört Ihnen der Laden hier?«
    »Nö. Ich arbeite nur hier.« Der Mann sah auf seine Armbanduhr. »Ich bin ein bisschen im Zeitdruck …«
    »Ich bin eine Freundin von May«, sagte Cara. »May Schick.«
    Seine Augen wurden schmal, seine Brauen zogen sich zusammen. Er atmete schneller. Über der Ladentheke hingen seine gesammelten Werke. Strahlende Babys, Hochzeitspaare im Park, Teenager im Konfirmationsanzug, denen er die Pickel aus dem Gesicht retuschiert hatte. Damit beschäftigte er sich tagsüber. Danach ging er nach Hause zu Frau und Kind und am Wochenende auf die Jagd.
    »Keine Ahnung«, sagte er ein paar Sekunden zu spät. »Wer soll das sein?«
    »Samstag vor einer Woche«, sagte Cara. »Ich will nur wissen, ob Sie mit ihr … zusammen waren. Und wann.«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht. May wie? Ich kenne die Frau nicht. Nie gehört.«
    »Natürlich kennen Sie sie«, sagte Cara. »Ich weiß auch, dass Sie verheiratet sind. Mir ist das egal. Ich will nur wissen, was May zwischen vier und fünf Uhr morgens gemacht hat.«
    »Sag mal, hast du einen Schaden?« Nun duzte er sie plötzlich. So schnell wurde man miteinander vertraut, wenn man die richtigen Fragen stellte.
    »In dieser Nacht wurde ein Mann ermordet«, sagte Cara. »Und jetzt sitzt meine Schwester im Knast. Weil sie es angeblich getan hat. Aber sie war es nicht.«
    »Die Polizei war schon bei mir«, sagte er widerwillig. »May kann es nicht gewesen sein.«
    Sie starrte ihn schweigend an. Stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sie küsste, ihre Bluse aufknöpfte, ihren Rock hochschob. Obwohl sie es sich nicht vorstellen wollte.
    »Wie lange?«, fragte Cara.
    »Geht dich nichts an.«
    »Es bleibt unter uns«, sagte sie. »Wirklich. Aber wenn Sie mir jetzt nichts sagen, dann kreuz ich heute Abend bei Ihnen zu Hause auf und dann kriegt es auch Ihre Frau mit.«
    Er blickte über ihre Schulter, durch die Glastür auf die Fußgängerzone, durch die ein alter Mann einen Rollator schob und neben ihm ging mit wackeligen Schritten seine Frau. Vielleicht hatte der Alte sie ebenfalls betrogen und sie hatte es nie herausgefunden. Oder sie hatte ihm vergeben.
    Vielleicht tat Jürgen sein Seitensprung schon wieder leid. Vielleicht war ihm das Ganze eine Lehre und er wäre in Zukunft treu.
    »Also gut«, sagte er schließlich, ohne Cara anzuschauen. »Wir sind so gegen drei Uhr morgens aus der Disco. Und kurz vor vier hab ich sie bei ihrer Freundin abgesetzt. In der Schlossstraße.«
    »Und wo waren Sie in der Zwischenzeit?«
    Jetzt atmete er noch schneller. Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, als ob er etwas hinunterschlucken wollte, das immer wieder nach oben kam. Als er Cara ansah, sah er so wütend aus, dass sie erschrak.
    »Wir waren im Wald. Jetzt denkst du dir deinen Teil, ist ja klar, was du denkst. Der alte Sack und das junge Ding und dass ich sie womöglich vergewaltigt habe. Aber so war das nicht. Sie hat mich in der Disco angemacht und wollte unbedingt, dass ich sie nach Hause fahre. Und ist mit mir ins Auto gestiegen, aber dann wollte sie

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