In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
ist der Schlüssel zu einem glücklichen Leben. In der Gegenwart glücklich bis ans Ende der Tage zu leben, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Das jedenfalls hat Ryvold gesagt, und vielleicht hatte er recht. Wenn ich heute drüber nachdenke, finde ich, es könnte stimmen. Damals jedoch machte ich mir nichts aus Glück. Es kam mir unwirklich vor – so unwirklich und bedeutungslos wie eine Liebesbeziehung, Erfolg oder jener Gott, den man auf alten Gemälden sieht –, nur wusste ich damals nicht, was Glück war. Heute, da ich glücklich bin, überrascht mich die bloße Tatsache jeden Tag aufs Neue, denn Glück ist so viel düsterer und längst nicht so vollkommen, wie man mich immer glauben machte – und ich denke, das war es, was Mutter mir in meiner Kindheit stets zu verstehen geben wollte. Glück ist ein Geheimnis, es ist still, persönlich und jenseits aller Worte. Man kann es nicht beschreiben, und entgegen allen anders lautenden Behauptungen kann es auch nicht geteilt werden. Sieht man zwei Menschen, die zusammen glücklich sind, weiß man, dass jeder für sich das Glück mitgebracht hat – sie haben es nicht gemeinsam gefunden, denn wie Frieden oder den Heiligen Geist kann man Glück nur finden, wenn man allein ist.
***
Meine Erinnerung an die nächsten Tage ist verschwommen. Nur eine einzige weiße Nacht war nötig gewesen, um mich gründlich zu verstören. Eine Zeit lang brachte ich es nicht über mich, aus dem Haus zu gehen – ich blieb in meinem Zimmer, und Mutter ermunterte mich, mir Ruhe zu gönnen, sah hin und wieder nach mir, brachte Suppe und akkurat geschnittene Sandwiches wie jene, die sie samstagmorgens ihren Freiern servierte. Ich ruhte mich nicht aus, natürlich nicht, ließ Mutter aber in dem Glauben – und nach zwei, drei Tagen nahezu völliger Schlaflosigkeit fiel ich gegen Mitternacht in einen tiefen Schlaf und wachte erst kurz vor drei Uhr am nächsten Nachmittag wieder auf. Im selben Moment wusste ich, dass irgendwas nicht stimmte. Jemand war unten bei Mutter. Eine fremde Person. Ich konnte nichts hören, wusste jedoch, dass sich noch jemand im Haus aufhielt, und in ebender Sekunde, in der ich wach wurde, überkam mich panische Angst. Echte Panik, leibhaftige Angst. Jemand oder etwas war im Haus, und ich spürte die Gefahr. Das Gefühl hielt nur einen Moment lang an, trotzdem weiß ich noch heute, wie stark es war. Kurz darauf ebbte es wieder ab, ich stand auf und ging zur Tür. Ich lauschte, konnte aber nichts hören. Dann fiel die Haustür ins Schloss – und mir wurde klar, dass jemand gerade gegangen war. Ich lief auf den Treppenabsatz ans Fenster. Ich wusste schon, wen ich sehen würde, konnte es aber nicht glauben, es war unmöglich. Nicht dass Maia zu unserem Haus kam, sondern dass Mutter sie einließ. Genau das aber musste sie getan haben, denn es war Maia, die ich unbeschwert über den Weg zum Gartentor gehen sah, ganz so, als wäre sie nur auf eine Tasse Tee vorbeigekommen.
Fast sprang ich die Treppe hinunter. Ich wusste, Mutter war in der Küche, ich spürte sie dort. Ich spürte ihre Aufmerksamkeit, eine Aufmerksamkeit, die sie der Huldra gewidmet hatte – wie lang? Einige Minuten? Eine Stunde? Den ganzen Tag? Im selben Moment, in dem ich die Küche betrat, sah ich unwillkürlich, dass es mehr als nur einige Minuten gewesen sein mussten. Auf dem Tisch standen zwei Tassen, und in der Luft hing ein seltsamer Geruch. Einen Augenblick lang verharrte ich in der Tür und starrte Mutter an. Sie stand am Waschbecken, den Kessel in der Hand, und ich – ich bebte vor Wut, vor Wut und auch vor Angst, so dass ich erst keinen Laut über die Lippen brachte. Dann platzte es aus mir heraus: » Was hatte Maia denn hier zu suchen?«
Mutter schloss eine Sekunde lang die Augen, so wie sie es manchmal tat, wenn sie nachzudenken versuchte, dann musterte sie mich mit freundlichem, besorgtem Blick. » Du bist auf? Wie fühlst du dich heute?«
Ich wollte mich nicht ablenken lassen. » Warum war sie hier? Was hat sie in diesem Haus verloren?«
Sie gab erst keine Antwort, drehte sich wieder zum Waschbecken um und füllte den Kessel. Ohne mich anzusehen, sagte sie schließlich. » Ich werde sie malen.«
» Was?« Es hätte ein Aufschrei berechtigter Wut sein sollen, kam aber nur als ein Flüstern heraus, so leise, dass ich mich selbst kaum hören konnte.
Mutter drehte sich um. » Ich male sie«, wiederholte sie und wirkte dabei sehr gefasst, sehr ruhig, eine beabsichtigte Ruhe, wie ich wusste,
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