Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
Vom Netzwerk:
über dem Bett hing ein Bild – eine Jagdszene, wenn ich mich recht erinnere –, und das war’s. Draußen brannte bereits eine Straßenlaterne, die weiches, orangefarbenes Licht ins Fenster warf, ein Licht, bei dem ich mich geborgen und gegen die Zeit gefeit fühlte. Ich stellte die Tasche aufs Bett, packte aus, räumte rasch meine Sachen ein und trat ans Fenster. Der Blick ging über einen Kiesweg und einen etwas ungepflegten Rasen auf eine baumbestandene Straße und darüber hinaus auf einen Park, offenbar ein von einem Gitterzaun geschützter Spielplatz für kleine Kinder. Auf der Straße herrschte reger Feierabendverkehr, der Spielplatz aber lag einsam und still im fahlen, orangeroten Laternenlicht. Jemand hatte alles Erdenkliche getan, um den Platz attraktiv zu gestalten: Ständer und Querbalken der Schaukel waren frisch in Kirschrot gestrichen, das Karussell leuchtete golden, weiß und blau, aber wegen des Regens war niemand dort. Es war kein Tag zum Spielen, eher ein Tag, an dem man auf der Treppe saß, dem Regen zuhörte oder ein Buch über Piraten oder Grinsekatzen las.
    Ich setzte mich aufs Bett. Vermutlich bliebe noch genügend Zeit, ins Krankenhaus zu fahren, doch war ich müde, und meine Sachen waren klamm und schmutzig; außerdem dachte ich, dass es nichts machte, wenn ich noch eine Nacht wartete. Ich war, sagte ich mir, von der Reise erschöpft, und es würde weniger aufdringlich wirken, wenn ich ihn erst am nächsten Morgen besuchte. Ausgeruht wäre ich sicher auch eine bessere Gesellschaft für einen kranken Mann, und die Frau, die mir die Briefe geschrieben hatte, diese Kate Thompson, die würde jetzt gewiss bei ihm sein, ein vertrautes Gesicht für Arild Frederiksen, eine tröstliche Präsenz – das war doch bestimmt, was er brauchte, im Krankenzimmer, wenn die Nacht anbrach. Ich wollte nicht am Abend kommen, im Regen, wenn er seine Medizin nahm und sich für die Nacht zurechtmachte – und ich wollte auch nicht unangemeldet auftauchen. Natürlich wusste ich an jenem Abend nicht, wie ernst seine Krankheit war, sonst wäre ich sicher sofort gefahren. Das versteht sich von selbst. Ich war gekommen, einen kranken Mann zu besuchen, der offenbar darum gebeten hatte, mich zu sehen – oder war es Kate Thompsons Entscheidung gewesen, mich hierherzuholen? Hatte sie es auf sich genommen, mir zu schreiben, da sie annahm, dass Arild Frederiksen selbst es nie getan hätte? Oder dass er mir nicht gesagt hätte, wie krank er war? Aber Kate Thompson hatte gesagt, dass er krank war, und zweifellos hatte sie gewusst, dass ich mich dadurch verpflichtet fühlte herzukommen. Nur – hatte sie mir nun mit seiner Einwilligung geschrieben, oder hatte sie mich bloß hergebeten, um sich zu beweisen, wie viel ihr an ihm lag? Sie hatte sich seine Freundin genannt, ich aber hatte gleich angenommen, dass mehr zwischen ihnen war – und falls diese Annahme stimmte, dann besaß sie tatsächlich gewisse Rechte, während der Abend kam und die Nacht anbrach. Zumindest hatte sie das Recht, mit ihm allein sein zu dürfen. Ich fischte ihre Nummer aus meinem Portemonnaie, begann zu wählen, legte jedoch kurz danach wieder auf und entschied, es wäre das Beste, bis zum Morgen zu warten. Stattdessen wählte ich die Nummer von daheim und wartete, während es klingelte. Niemand nahm ab. Nachdem es etwa ein Dutzend Mal geläutet hatte, meldete sich der Anrufbeantworter. » Dies ist der Anschluss von Angelika Rossdal. Ich bin gerade beschäftigt. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.« Eine klare, schlichte Ansage, kein Herumgerede, keine Spur von pfiffiger Ironie, von Humor – es war das erste Mal, dass ich sie aus der Ferne hörte. Ich stand da, lauschte ihrer Stimme und legte auf, als der Piep kam, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Mutters Stimme klang so weit fort, so abstrakt, dass es mir plötzlich vorkam, als wäre die Stimme, die ich hörte, überhaupt nicht ihre Stimme, sondern die einer Betrügerin. Und obwohl ich wusste, wie absurd diese Idee war, fühlte ich etwas, das an Panik grenzte, war schlagartig überwältigt von dem Gedanken, dass ich zu weit gereist war, auch zu lang, und dass ich nun, da ich hier war, an diesem fremden Ort, nicht bloß Mutters Stimme aus großer Distanz hörte, sondern auch hörte, wie das ganze Haus, der ganze Raum, den ich normalerweise einnahm, verstummte und sich um meine Abwesenheit schloss. Ich war weit fort von allem, was ich kannte, woran mir lag, weit fort im Regen, in England,

Weitere Kostenlose Bücher