In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
geben, doch begann ich zu vermuten, dass sie von ihm weniger geliebt worden war, als sie es sich erhofft oder gewünscht hatte – und das, begriff ich, machte ihre Trauer aus, das war ihre geheime Scham. Sie hatte ihn geliebt, er aber war zu sehr Wassermann gewesen, ihre Liebe zu erwidern. Zumindest sie so sehr zu lieben, wie sie es sich gewünscht hatte. Ich schaute auf ihre Hände. Kein Ring. Ich begriff es, verstand es in diesem Moment – und ich glaube, in derselben Sekunde sah sie mir an, dass ich es verstand. Ich dachte, sie würde verärgert sein, aufgebracht – aber sie war es nicht. Stattdessen lachte sie leise und schüttelte den Kopf – und das war nicht gespielt, keine Verstellung. Sie hatte lange Jahre Zeit gehabt, sich an diesen Zustand zu gewöhnen, Jahre, um zu lernen, wie man falsche Hoffnungen aufgab, Jahre, um sich von der Geschichte zu verabschieden, von der sie gehofft hatte, dass sie mit Arild Frederiksen beginnen würde – und sie hatte sich dran gewöhnt, hatte ihre liebsten Hoffnungen fahren lassen, und sie hatte es, nahm ich an, mit genügend Anstand getan, um nun auf sich stolz sein zu können. Zweifellos war es ihr sogar gelungen, sich einzureden, dass sie, indem sie auf Offensichtliches verzichtete, etwas weit Subtileres und Ergiebigeres erhielt, zweifellos hatte sie sich gesagt, dass die Liebesbeziehung, nach der sie sich sehnte, banal und unhaltbar war und dass das, was sie gewonnen hatte, viel besser war. Ehrlicher. Realistischer. » Er war ein guter Mensch«, sagte sie. » Wenn Sie ihn kennengelernt hätten, würden Sie das auch sagen …«
» Bestimmt war er das.«
» Aber Sie haben ihn nicht kennengelernt«, sagte sie. » Und ich glaube, es wäre gut – für Sie wie für ihn –, wenn Sie sich von mir etwas über ihn erzählen ließen. Da Ihre Mutter …« Sie riss sich zusammen und überlegte es sich anders. Sie wollte mich nicht verscheuchen, das spürte ich, auch wenn sie fest davon überzeugt war, dass ich mehr über diesen Mann erfahren sollte, diesen Vater, nur war das nicht der eigentliche Grund, weshalb sie mich bei sich behalten wollte. Sie wollte wiedergutmachen, was in ihren Augen wiedergutgemacht gehörte, doch war der eigentliche Grund für dieses Gespräch ihr Wunsch, über ihn zu reden. Sie musste über ihn reden – und selbst wenn sie die eigenen Absichten für dieses Gespräch noch so gut fand, dachte ich doch unwillkürlich, dass sie mich für dieses Gespräch vor allem deshalb auswählte, weil sie sonst niemanden hatte. Mir fehlte dafür jeder Beleg – ich wusste nichts über sie, über ihr Leben mit Arild Frederiksen –, trotzdem überkam mich plötzlich ein überwältigender Eindruck von Einsamkeit, von einem traurigen, leicht indignierten Paar, das in irgendeinem stillen, auf bescheidene Weise komfortablen Nest gestrandet war und sich größte Mühe gab, die Tage sinnvoll zu füllen. Ich sah es regelrecht vor mir, wie Arild daheim an der Schreibmaschine saß, während Kate mit Regenmantel über dem Trikot zum Yoga ging, und ich wusste – ich habe keine Ahnung, woher ich das wusste, da ich nie auch nur einen Moment darüber nachgedacht hatte, ehe wir uns in dieses Krankenhauscafé setzten – aber ich wusste einfach, dass es keine Gemeinsamkeiten gewesen waren, die sie zusammengeführt hatten, sondern ein Gefühl, dass die besten Zeiten bereits vorüber waren, ein Gefühl, dass das, was sie sich vom Leben erhofft hatten, nicht recht eingetreten war. » Ich dachte, Sie würden wissen wollen, wie er war«, sagte sie in einem Ton, als gäbe sie sich geschlagen, und da dieser Ton nicht mir zuliebe anklang, rührte er unwillkürlich mein Mitgefühl.
Ich nickte. Allerdings empfand ich nicht jene Zustimmung oder Neugier, die sie gewonnen zu haben glaubte, nein, ich empfand Resignation. » Ich habe das Buch gelesen, das Sie mir geschickt haben«, sagte ich. » Er ist offenbar viel gereist.«
Das muss in ihren Ohren ziemlich lahm geklungen haben, doch ließ sie sich nichts anmerken. » Quer durch die ganze Welt«, sagte sie und gestattete sich ein nur angedeutetes, zaghaftes Lächeln, als dächte sie, ich würde wollen, dass sie sich für etwas entschuldigte – dafür, mich aufzuhalten, schätze ich –, um dann eine Geschichte anzufangen, über die sie offensichtlich bereits eine Weile nachgedacht hatte, eine vorbereitete Erzählung, die so offenkundig darauf abzielte, Arild Frederiksen in ein bestmögliches Licht zu rücken, dass ich gegen meinen Willen
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