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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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war ein Ölgemälde von Harald Sohlberg, ein kleines Haus am Rand eines Sees, eine einsame weiße, durch einen Kiefernwald gesehene Hytte, die Fenster von einem weichen, goldenen Licht erhellt, das Dach beinahe so schwarz wie die Kiefern und das dunkle Wasser dahinter. Hätte dies jemand anderes gemalt, hielte man es bestimmt für ein Nachtbild, aber Sohlberg hatte dem Himmel – ein fern wirkender Himmel, weit fort vom tintigen Fjordrand – ein fahles, geisterhaftes Blau gegeben, so puderblau wie die Dämmerung am Ende des Sommers, und das kleine weiße Haus mit dem schwach goldenen Licht sah aus, als wäre es Teil einer Theaterkulisse, temporär, provisorisch und nur vorübergehend bewohnt. Die Plakette an der Wand gab Namen und Titel des Werkes erst auf Norwegisch an, Et Hus Ved Kysten (1907), dann auf Englisch, The Fisherman’s House (1907), was zwar keine besonders korrekte, aber ausreichende Übersetzung war. Das Werk hatte ich schon oft gesehen; es war ein Gemälde, das ich kannte, seit ich mich erinnern konnte – bei Mutter hing im Atelier ein gerahmter Druck des Bildes von einer lang vergangenen Ausstellung in der National Gallery –, doch es hier zu finden, in diesem englischen Marktflecken, an ebendiesem Tag, schien mir vollkommen absurd. Es war, als würde ich heimgesucht – natürlich von Mutter und der Landschaft, die ich gerade erst verlassen hatte, doch bereits vermisste, aber auch von den Sigfridsson-Jungen und den weißen Nächten voller Schatten und Geister, die, wie ich plötzlich begriff, jedem ziemlich fremd vorkommen mussten, der nie im Norden gelebt hatte. Unter der Plakette hing eine rechteckige, bedruckte Karte, die einige allgemeine Angaben über Sohlbergs Leben und Karriere machte; und mich überraschte, wie allgemein die Angaben gehalten waren. Wer auch immer für diese Ausstellung verantwortlich zeichnete, hatte offenbar angenommen, dass nur wenige Besucher der Galerie mit Sohlbergs Werk vertraut waren, was mich an Mutters alte Klage erinnerte, dass im Ausland kein Mensch norwegische Kunst kenne, Edvard Munchs Der Schrei ausgenommen. Noch schlimmer fand ich, was Mutter gewiss erst recht aufgebracht hätte, dass nämlich der Verfasser des Kartentextes sich dafür entschieden hatte, Sohlberg als einen besessenen, einsamen Menschen zu charakterisieren, der sich von seinen Zeitgenossen abgewandt hatte und am Ende seines Leben allein und vergessen war.
    Ich weiß nicht mehr, wie es war, dazusitzen und Et Hus Ved Kysten anzustarren, ich weiß nur, dass ich das Bild eigentlich gar nicht sah, auch wenn ich es noch so aufmerksam betrachtete – zumindest sah ich es nicht als ein Werk der Malerei. Ich schaute nicht auf eine Leinwand, ich schaute auf eine Illustration . N icht eine Illustration dessen, was Harald Sohlberg sich vorgestellt hatte, sondern , obwohl die Konturen des Landes so viel runder, sanfter als auf der entlegeneren Seite des Malangenfjords waren , auf eine Szene, die fast exakt dem Bild von Kyrre Opdahls Hütte entsprach, das ich in der Nacht zuvor in meinem Albtraum gesehen hatte. Eine Viertelstunde saß ich da, vielleicht auch länger, nur war ich nicht mehr in der Galerie, in diesem englischen Marktflecken, ich war daheim. Nicht bloß daheim in Kvaløya, sondern daheim in meinem Kopf, an jenem Ort, an dem die Träume spielen. Ich war an einem Ort, den niemand sonst je zu Gesicht bekommt, und ich war dort allein.
    Es dauerte einige Zeit, ehe ich aus meinen Tagträumereien erwachte, doch sobald ich wieder zu mir kam, war mir, als würde ich beobachtet. Ich sah mich um. Außer mir befand sich niemand im Saal – eigentlich war sogar überhaupt niemand in der Galerie –, und trotzdem wurde ich dieses Gefühl nicht los, obwohl ich mich doch offensichtlich allein hier aufhielt. Was an sich schon merkwürdig war: In den vorherigen Sälen hatte ich jemanden vom Sicherheitspersonal gesehen, jemanden in grauer Uniform, der auf einem Klappstuhl in einer Ecke saß und vorgab, nicht dort zu sein, während ich herumging und mir die Gemälde anschaute; in diesem Saal aber war wirklich niemand. Hier war niemand. Ich war völlig und überprüfbarermaßen allein, doch der Eindruck, beobachtet zu werden, nahm sogar noch zu . M ich überkam – wofür ich keine Erklärung habe, war die Situation doch eigentlich recht harmlos – plötzlich ein akutes Gefühl der Angst, der Panik, so dass ich rasch zurück zu dem Türbogen zwischen diesem und dem letzten Saal lief , in einen Raum, der ebenso

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