In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
Geduld auf eine harte Probe.
58
Das Hotelzimmer war nichtssagend und leblos. Alles war an der Wand oder am Fußboden festgeschraubt. Berlin legte das Modem mit dem Internetzugang auf den Tisch und holte aus ihren Taschen die Miniflaschen Johnnie Walker, die sie an der Rezeption gekauft hatte. Sie schraubte zwei auf und drückte auf die Einschalttaste. Sie würde wenigstens versuchen, mit der Untersuchung weiterzumachen, und der nächste Schritt war, dass sie Nestors Mailbox an Thompson mailte. Wenn sie weiterhin gut mit ihm auskam, würde er ihr vielleicht aus dieser Scheiße raushelfen.
Die Lämpchen leuchteten auf, und der Bildschirm wurde blau, aber er begrüßte sie nicht, sondern gab nur ein Geräusch von sich wie ein verreckender Rasenmäher. Berlin tippte auf verschiedene Tasten, aber nichts geschah. Ihr Laptop war mausetot, zweifellos hatte der heftige Kontakt mit Dempsters Kopf ihn geschrottet. Falls das Karma war, musste sie in einem früheren Leben Blaubart gewesen sein.
Bevor man die Mailbox bearbeiten konnte, musste ein Profi die Ordner von ihrer Festplatte wiederherstellen – falls das überhaupt möglich war. Jetzt musste sie den verdammten Computer per Kurier zu Thompson bringen lassen, und der Himmel mochte wissen, wie lang das alles dauern würde.
Sie hatte auch ihre Notizen und Diagramme verloren. Alles, was sie so sorgfältig zusammengetragen hatte, seit Ginas Leiche gefunden worden war. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
Sie hatte alles verloren.
Eine Woge totaler Erschöpfung überrollte sie. Sie schaffte es nur noch, ihren Mantel auszuziehen, und hatte Schwierigkeiten, ihren geschwollenen Arm aus dem Ärmel zu ziehen. Ein dunkelvioletter Bluterguss verlief von ihrer Schulter bis zum Handgelenk.
Sie leerte noch zwei weitere Fläschchen, legte sich aufs Bett und wickelte sich in den Mantel. Bevor sie irgendetwas unternehmen konnte, musste sie erst mal die Nacht überstehen.
Plötzlich verwandelten sich ihre Gedärme in Wasser, sie sprang hoch und schaffte es gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer. Das konnte der Schock sein oder der Anfang vom Entzug. Aber dafür war es doch bestimmt noch zu früh!
Für Angst hingegen war es nicht zu früh.
Ein Leben ohne Heroin.
Terror packte ihre Eingeweide und zerrte an ihnen. Es war wie die schlimmste Grippe, Nahrungsmittelvergiftung und Seekrankheit auf einmal. Sie kroch wieder ins Bett, obwohl sie wusste, dass sie nicht schlafen würde. Vielleicht nie mehr wieder.
Die Toten glitten aus dem Äther, um ihr Gesellschaft zu leisten. Gina, Lazenby, Nestor. Sie schwiegen und sahen sie nur vorwurfsvoll an.
Direkt hinter ihnen standen ein junger Schwarzer und eine Frau, die nach seiner Hand zu greifen schien. Merle Okonedo und ihr Bruder. Weiter weg ihr Vater. Immer ihr Vater, der ihr den Rücken zuwandte.
59
Frank hatte seine Strafe im Gefängnis der Schlaflosen abgesessen. Um drei Uhr morgens war er dabei, die Vergangenheit zuzunageln.
Er hatte zu viele Zimmer und lebte nur in einem. Er schlief auf der Couch, damit er kein Geld für Heizung und Licht verschwenden musste. Es gab nur vier Glühbirnen im ganzen Haus. Eine in der Küche, eine im Bad, eine im Wohnzimmer und eine im Flur. Eigentlich war die überflüssig.
Er hörte auf zu hämmern und schleppte einen Stuhl in den Flur, kletterte darauf und schraubte die vierte Birne aus der Fassung. Drei Birnen – mehr brauchte er nicht. Es lohnte sich nicht, die Dinge zu gut auszuleuchten.
Vor einiger Zeit hatte er bemerkt, dass sich die Möbel in den nicht benutzten Zimmern zu bewegen schienen. Das würde die Geräusche erklären, die ihn nachts wach hielten: Etwas Schweres wurde über den Teppich gezerrt und dann mit einem Bums fallen gelassen.
Doyle gegenüber hatte er das nicht erwähnt, weil er wusste, dass der ihm nur wieder einen seltsamen Blick zuwerfen würde. Der Junge hatte kein Rückgrat. Der wartete doch nur auf einen Vorwand, um ihn in ein Heim zu stecken, damit er alles an sich reißen konnte.
Nur über Franks Leiche.
Er hämmerte weiter. So viele Fenster.
SIEBTER TAG
60
Beim ersten Lichtschimmer stand Doyle auf und setzte Wasser auf. Noch eine schlaflose Nacht und grässliche Kopfschmerzen. Sein Plan war im Eimer, und die Jungs faulenzten herum ohne seine wachsamen Blicke, die sie sonst bei der Stange hielten. Gestern Abend hatte er Frank nicht gegenübertreten können, und außerdem waren die verdammten Straßen sowieso nicht passierbar. Er würde ihn lieber anrufen.
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