In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
aber noch, fünftausend in einem Sofakissen versteckte Pfund zu finden, um die andere Kniescheibe vor Schaden zu bewahren.
Ende gut, alles gut, dachte Doyle, als er bei Nummer einundfünfzig anklopfte.
Der Jüngste öffnete die Tür einen Spaltbreit hinter der Sicherheitskette und knurrte wie ein gut ausgebildeter Rottweiler.
»Ist die Mama da?«, fragte Doyle breit lächelnd.
Sheila Harrington tauchte hinter dem Jungen auf und schob ihn zur Seite. Doyle hörte, wie sie ihm sagte, er solle weiterspielen und im Wohnzimmer bleiben.
Eine Tür knallte zu, und Sheila kam zurück. Sie holte aus der Tasche ihrer Strickjacke ein Bündel Geldscheine und stieß sie Doyle durch den Türspalt in die Hand.
»Das ist alles, was ich Ihnen schulde«, sagte sie.
Es hätte nicht viel gefehlt, und Doyle wäre vor Überraschung umgefallen.
»Das sollten Sie besser mich beurteilen lassen«, sagte er.
Aber es stimmte. Er zählte sorgfältig und versuchte sich einen anderen Grund einfallen zu lassen, weshalb er noch eine Rate verlangen konnte. Dann bot er ihr an, ihr einen Teil zurückzugeben, damit sie weiterhin bei ihm in der Kreide stand. Aber sie weigerte sich strikt.
»Tja, Sheila, ich wüsste ja nun gern, wie Sie die verdammte Summe zusammengebracht haben. Sie sind mir doch nicht untreu geworden, oder? Haben Sie mich mit Geld bezahlt, das Sie sich von einem anderen zinsfrei geliehen haben? Kündigen Sie mir und sind jetzt woanders Kunde?«
Falls jemand in sein Revier eindrang, wollte er das wissen.
»Nein, nein«, sagte sie. »Nichts dergleichen, Mr. Doyle. Das würde ich niemals tun. Das war ein Freund. Der hat es mir gewissermaßen geschenkt. Sie wissen schon.«
Doyle wusste nichts. Er verschränkte die Arme. Er wollte eine Erklärung. »Ich glaube, die Jungs würden gern bei dem Spiel von Ihrem Sohn mitspielen. Oder vielleicht auch mal Ihren Hund Gassi führen.«
Er sah zurück zu den Jungs, die ans Auto gelehnt rauchten. Sie grinsten Sheila an.
»Ist doch nett, was? Ein hübsches Spielchen.«
Sie klinkte die Kette aus und machte die Tür auf. »Eine Tasse Tee, Mr. Doyle?«
»Das wäre wunderbar, Sheila. Eine Tasse Tee und ein netter Plausch.«
61
Berlin schleppte sich durch den Eismatsch, ihre Schritte hinterließen kaum einen Abdruck darin. Sie hatte versucht, für den Heimweg ein Taxi zu bekommen, aber eine Automatenstimme hatte ihr ungerührt mitgeteilt, dass es fünfzig Minuten dauern würde, bis sie mit der Vermittlung sprechen könnte.
London war ein übellauniges Monster; seine Glieder schmerzten, und seine Arterien waren verstopft. Jetzt hatte das Wetter das dünne Nervenkostüm noch weiter strapaziert: Die Stadt war am Ende.
Mit jedem Schritt wuchs Berlins Ärger. Niemand war verantwortlich. Niemand kümmerte sich. Wenn heutzutage etwas schieflief, bekam man als Wiedergutmachung einen Gutschein. Das war britischer Kundendienst: Reparier nichts, schlag einfach noch etwas auf den Preis drauf und gib es dann an den Kunden zurück, wenn es nicht funktioniert. Es würde sich nichts ändern, aber man konnte ordentlich jammern.
Mit dem Verständnis eines Galliers für das Londoner Temperament hatte Wilhelm der Eroberer den Bürgern besondere Privilegien gewährt, zweifellos hatte er ihr Talent als erstklassige Meckerer gleich erkannt. Aber er hatte auch den Tower erbauen lassen, in dem er sie einkerkerte, wenn sie zu unruhig wurden. Die Klagen hatten sich kaum verändert, aber die Methoden des In-Schach-Haltens waren modernisiert worden.
Als Berlin bei ihrer Wohnung ankam, konnte sie kaum noch klar sehen. Sie stolperte die Treppe hoch. Der Schlüssel steckte immer noch im Schloss.
Die einzige Spur des Chaos, vor dem sie geflohen war, war eine tiefe Delle in der Wand, die etwa die Größe und Form eines Helms hatte. Hoffentlich war beim Aufprall ein Kopf darin gewesen.
Sie schluckte drei Aspirin mit dem Rest ihres Scotch, dann legte sie sich neben der Heizung auf den Boden und versuchte das Gefühl von ihrem letzten Schuss heraufzubeschwören. Er schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, nachdem sie Coulthard aus dem Gefängnis des trauernden Doyle befreit hatte. Sie dachte an Ginas bläuliches Fleisch im Leichenschauhaus, kalt wie Marmor, was ihre Zähne zum Klappern brachte.
Immer wieder redete sie sich ein, dass die physischen Symptome bald verschwinden würden. Die Experten waren sich uneinig darin, wie lange diese Entzugsphase andauerte. Sie entsprach nicht immer dem »Cold Turkey« der verzweifelten
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