In kalter Absicht
er kurz.
Karsten brachte ihn zur Tür. Ein leichter Regen ließ das Gras glitzern, in der Nacht würde es wieder kalt werden. Vielleicht sogar frieren, der Wind hatte eine Schärfe, die zumindest hier in den Bergen Frost ankündigte. Der Geruch des kalten Frühsommers füllte beißend die Nase. Karsten holte tief Luft.
»Ich kann ja nicht gerade behaupten, daß ich mich über Ihren Besuch gefreut hätte«, sagte er. »Aber kommen Sie gut nach Hause.«
Stubø öffnete die Wagentür und drehte sich zu ihm um.
»Ich würde gern in der Stadt mit Ihnen sprechen«, sagte er.
»In der Stadt? In Oslo, meinen Sie?«
»Ja. So bald wie möglich.«
Karsten Åsli dachte nach. Noch immer hielt er die Kaffeetasse in der Hand. Er schaute hinein und schien überrascht davon zu sein, daß nichts mehr drin war. Dann hob er den Blick, starrte Stubø an und sagte:
»In dieser Woche geht das nicht. Aber vielleicht Anfang der nächsten. Ich kann nichts versprechen. Haben Sie vielleicht eine Karte oder so? Damit ich mich melden kann?«
Stubø ließ seinen Blick nicht los. Karsten zuckte nicht mit der Wimper. Zwischen ihnen surrte eine verirrte Fliege hin und her. Hoch über der Wolkendecke war ein Flugzeug zu hören. Die Fliege flog zum Himmel hoch.
»Sie hören von mir«, sagte Stubø endlich. »Darauf können Sie sich verlassen.«
Der dunkelblaue Volvo ruckelte durch das offene Tor und rollte dann langsam den Hang hinunter. Karsten Åsli folgte ihm mit den Augen bis zu dem Wäldchen, hinter dem die Straße sich gabelte. Er wußte nicht mehr, wann das Tal zuletzt so schön ausgesehen hatte, so rein.
Es gehörte ihm. Der Ort hier gehörte ihm. Durch einen Riß in der Wolkendecke sah er den Kondensstreifen des Flugzeugs, das nach Norden unterwegs war.
Er ging ins Haus.
Yngvar Stubø hielt an, sowie er sich außer Sichtweite glaubte. Er umklammerte das Steuer. Das Gefühl der Nähe des Kindes war so stark gewesen, so aufdringlich, daß ihn nur seine fünfundzwanzig Jahre Erfahrung davon abgehalten hatten, das Haus in seine Bestandteile zu zerlegen. Zu einem solchen Vorgehen hatte er keine Befugnis. Er hatte nichts.
Nur dieses Gefühl. Kein einziger Jurist in ganz Norwegen würde ihm aufgrund seines Instinkts einen Durchsuchungsbefehl ausstellen.
»Denken«, fauchte er sich selber an. »Denken, zum Teufel.«
Er brauchte weniger als achtzig Minuten für die Rückfahrt nach Oslo. Er hielt vor dem Block an, in dem Lena Baardsen wohnte. Es war inzwischen Abend an diesem Montag, dem 5. Juni, und es war bereits nach halb neun. Er hatte Angst, daß die Zeit ihm davonlief.
54
Aksel Seier stand vor einem fleckigen Spiegel in seinem Wohnzimmer. Er fuhr sich über die Haare. Es roch nach Apfelsinen. Seine Stirnfransen waren verschwunden, und die Nackenhaare stachen seine Finger, wenn er gegen den Strich darüberfuhr. Mrs. Davis meinte, er sehe nun endlich einmal so aus wie jemand, der einer zivilisierten Gesellschaft angehört. Obwohl er sich auf eine lange Reise begeben würde, in ein Land, wo die Leute, wie Mrs. Davis annahm, Amerikaner als vulgäre Barbaren betrachteten. Das war oft der Fall bei diesen Europäern. Das hatte sie im National Enquirer gelesen. Er mußte diesen Leuten zeigen, daß er ein respektabler, gutbetuchter Mann war. Der lange graue Schopf mochte hier in Harwichport gut genug sein, aber jetzt würde er sich einer anderen Welt stellen. Sie hatte ihm übel ins Ohr geschnitten, aber seine Frisur sah immerhin gleichmäßig aus. Kurzgeschoren überall. Das Apfelsinenöl hatte einer ihrer sechs Schwiegersöhne bei ihr hinterlassen. Es war angeblich gut für die Kopfhaut. Aksel konnte den säuerlichen Geruch nicht leiden. Er würde erst am folgenden Tag fahren, und er beschloß ihn auszuwaschen, bevor er sich in den Bus zum Logan International Airport bei Boston setzte. Matt Delaware hatte angeboten, ihn zur Haltestelle nach Barnstable zu fahren. Das wäre ja auch noch schöner, schließlich hatte der Junge das Auto und das Boot für einen Spottpreis bekommen.
Das Grundstück in der Ocean Avenue dagegen hatte Aksel für 1,2 Millionen Dollar verkauft.
So, wie es jetzt war.
Er hatte nur eine Stunde gebraucht, um zu entscheiden, was er mitnehmen wollte. Die Glassoldaten, für deren Herstellung er vier Winter gebraucht hatte, bekam Mrs. Davis. Das Risiko, daß sie während der Reise übers Meer zerbrechen könnten, war einfach zu groß. Sie war zu Tränen gerührt und versprach, keines von ihren
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