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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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gewußt, daß mehr als sechzig Prozent von uns den Badezimmerschrank aufmachen, wenn wir eine fremde Toilette aufsuchen? Zwei oder drei Pillen mitgehen zu lassen ist das Einfachste auf der Welt. Wenn wir diesen Typen jemals erwischen, dann nicht, weil er im Besitz von Valium oder Vival ist.«
    »Wenn wir jemals …«, wiederholte Inger Johanne. »Das klingt ja reichlich pessimistisch.«
    Yngvar Stubø spielte mit einem Spielzeugauto herum. Er ließ es über seinen Handrücken rollen. Die vorderen Scheinwerfer leuchteten schwach, als die Räder sich in Bewegung setzten.
    »Sie mag nur rote Autos«, sagte Inger Johanne. »Kristiane, meine ich. Keine Puppen, keine Eisenbahn. Nur Autos. Rote Autos. Feuerwehrautos, Londoner Busse. Wir wissen nicht, warum.«
    »Was fehlt ihr eigentlich?«
    Er stellte das Auto vorsichtig auf den Couchtisch. An einem Rad war das Gummi abgerissen, die kleine Achse schrammte über die Glasplatte.
    »Das wissen wir nicht.«
    »Sie ist reizend. Ganz reizend.«
    Er schien das wirklich zu meinen. Aber er hatte sie nur einmal gesehen. Und auch das nur ganz kurz.
    »Und Sie kommen nicht weiter, was die eigentliche Lieferung angeht? Ich meine, er muß doch in dieser Hofeinfahrt in der Urtegate gewesen sein oder irgendwen hingeschickt … was wissen Sie darüber?«
    »Ein Frachttaxi. Frachttaxi!«
    Yngvar drückte den Zeigefinger auf das Dach des Autos und schob es langsam über den Tisch. Das gummilose Rad hinterließ einen kleinen Streifen auf dem Glas. Inger Johanne öffnete den Mund. Aber dann sagte sie doch nichts.
    »Es ist so … so dreist«, sagte Yngvar verbissen, er bemerkte gar nicht, was er anrichtete. »Der Typ weiß natürlich, daß er kein zweites Mal eine Kindsleiche direkt bei der Mutter ablegen kann. Wir haben überall Wachen aufgestellt. Ein Fehler, natürlich. Zu viele Köche verderben den Brei. Durch den Mord an Sarah ist plötzlich auch der Polizeibezirk Oslo mit im Spiel, und das Verhältnis zwischen der Kripo und … vergessen Sie es. Wir hätten viel diskreter vorgehen müssen. Ihn in eine Falle locken. Es zumindest versuchen. Er hat das Spiel durchschaut und … einen Kurier geschickt. Ein Frachttaxi! Und in der Urtegate hat niemand was gesehen, niemand was gehört, niemand was begriffen. Der Kasten mit Sarahs Leichnam ist vermutlich bei hellichtem Tag dort abgestellt worden. Alter Trick übrigens …«
    »Man kann sich nirgendwo so gut verstecken wie unter vielen Menschen«, sagte Inger Johanne. »Clever. Trotzdem ist es seltsam, das Paket muß doch …«
    Sie zögerte und fügte dann mit leiser Stimme hinzu:
    »… ziemlich groß gewesen sein.«
    »Ja. Es war groß genug, um ein achtjähriges Kind aufzunehmen.«
    Inger Johanne kannte sich. Sie war ein vorhersagbarer Mensch. Isak, zum Beispiel, hatte sie schließlich ziemlich langweilig gefunden. Als es Kristiane besser ging, und das Leben sich in einem schwerfälligen Rhythmus einpendelte, hatten seine Klagen eingesetzt. Inger Johanne sei so wenig impulsiv. Jetzt sei doch mal ein bißchen locker, sagte er immer häufiger. So schlimm kann das doch nicht sein, seufzte er resigniert, wenn sie die Tiefkühlpizza, mit der er das Kind vollstopfte, weil er nicht kochen mochte, mit skeptischen Blicken bedachte. Isak fand sie langweilig. Line und die anderen Freundinnen waren teilweise seiner Meinung. Nicht, daß sie das offen sagten. Im Gegenteil. Sie lobten sie. Inger Johanne ist so zuverlässig, riefen sie. So tüchtig und verantwortungsbewußt. Auf Inger Johanne ist Verlaß, immer. Langweilig, mit anderen Worten.
    Sie mußte aber vorhersagbar sein. Sie trug die Verantwortung für ein Kind, das niemals richtig erwachsen sein würde.
    Inger Johanne kannte sich.
    Diese Situation war absurd.
    Sie hatte einen Mann zu sich eingeladen, einen Mann, den sie kaum kannte. Sie ließ sich von ihm die Einzelheiten einer polizeilichen Ermittlung erzählen, mit der sie nichts zu tun hatte. Er verstieß gegen seine Schweigepflicht. Sie müßte ihn warnen. Ihn umgehend hinauskomplimentieren. Sie hatte ihren Entschluß schon in ihrem Hotelzimmer in Harwichport gefaßt, als sie den Zettel in zweiunddreißig Stücke gerissen und ins Klo geworfen hatte.
    »Strenggenommen dürfen Sie mir das sicher gar nicht erzählen.«
    Yngvar Stubø holte tief Atem und ließ die Luft durch zusammengebissene Zähne wieder entweichen. Er wurde kleiner. Vielleicht versank er auch nur tiefer im Sofa.
    »Strenggenommen darf ich das wohl nicht. Nicht, so lange wir

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