In kalter Absicht
worden. Das Kind hatte ein schmales Kinn mit der Andeutung eines Grübchens. Der Mund war klein, hatte aber volle Lippen, und um die blonden Haare wand sich ein Kranz aus Huflattich. Eine Blüte hatte sich gelöst und hing der Kleinen in die Stirn.
»Tønnes Selbu und Grete Harborg waren verheiratet, als Grete schwanger wurde. Tønnes wurde automatisch als Kindsvater registriert. Niemand hat je daran gezweifelt, daß er das auch wirklich ist. Abgesehen von der Mutter, sie muß doch … egal. Vor zwei Jahren beschlossen Grete und Tønnes, sich für Knochenmarkspenden zur Verfügung zu stellen. Es ging um einen Vetter, der krank geworden war, und die ganze Familie … Also, zur großen Überraschung des Arztes ergaben die Tests, daß Tønnes kaum der Vater seines Kindes sein kann. Das wurde aus purem Zufall entdeckt. Der Arzt hatte schon früher von Emilie eine Probe genommen, in einem anderen Zusammenhang, und …«
»Aber haben sie den Mann denn nicht informiert?«
»Wozu hätte das denn gut sein sollen?«
Yngvar stand jetzt dicht vor Emilies Bild, er studierte es ausgiebig und ließ seinen Zeigefinger über den Kranz aus gelben Frühlingsblüten wandern.
»Tønnes Selbu ist ein absolut akzeptabler Vater. Sogar ein besserer als die meisten anderen, wenn die Berichte zutreffen. Ich kann die Ärzte gut verstehen. Warum sollten sie dem Mann eine Information aufzwingen, um die er sie nicht gebeten hatte? Und für die er keine Verwendung hatte?«
Sigmund Berli starrte ungläubig das Bild der Neunjährigen an.
»Ich hätte das wissen wollen! Ja verdammt, wenn Sture und Snorre nicht meine Kinder sind, dann …«
»Dann was? Dann willst du sie nicht mehr?«
Berli klappte seinen Mund wieder zu. Und zwar so laut, daß Yngvar kurz auflachte.
»Denk jetzt nicht daran, Sigmund. Wir müssen feststellen, ob diese Information für uns von Bedeutung sein kann. Für die Ermittlungen.«
»Und was sollte das für eine Bedeutung sein?« fragte der andere unkonzentriert.
Snorre war dunkel, wie Sigmund Berli selber. Eckig. War ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, das hörte er immer wieder. Obwohl er eigentlich keinen besonderen Blick für solche Dinge hatte, konnte er doch klare Ähnlichkeiten zwischen den Bildern von Klein-Sigmund mit fünf Jahren und dem jetzigen Aussehen seines Sohnes erkennen.
»Das weiß ich doch nicht. Reiß dich zusammen!«
Yngvar schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht.
»Als erstes müssen wir herausfinden, ob das noch bei anderen zutrifft.«
»Ob die anderen Kinder wirklich die Kinder ihrer Väter sind? Sollen wir das vor der Beisetzung überprüfen, sollen wir anrufen und sagen, Verzeihung, guter Mann, aber wir haben den Verdacht, daß Sie gar nicht der Vater des Kindes sein können, das Sie soeben verloren haben, dürften wir deshalb um eine Blutprobe bitten? Was? Was? Das meinst du doch nicht im Ernst!«
» Was ist denn in dich gefahren?«
Yngvars Stimme war leise und ruhig. Sigmund Berli bewunderte ihn normalerweise dafür, er bewunderte die Fähigkeit des älteren Kollegen, sich zu beherrschen, immer klar zu denken, sich präzise auszudrücken. Jetzt war Berli wütend.
»Verdammte Pest, Yngvar! Willst du diesen Männern auch noch den letzten Sargnagel verpassen, oder was?«
»Nein. Ich habe vor, das diskret durchzuführen. Absolut diskret. Ich will durchaus nicht, daß Tønnes Selbu erfährt, worüber wir eben gesprochen haben. Was die anderen Väter angeht, so ist es deine Aufgabe, irgendeinen plausiblen Grund für eine Blutprobe zu erfinden. Und zwar ganz schnell.«
Sigmund Berli holte tief Luft. Dann legte er die Fingerspitzen gegeneinander und drehte Däumchen.
»Vorschläge«, sagte er kurz.
»Nein. Das ist deine Sache.«
»Na gut.«
»Ich bin mir sicher«, setzte Yngvar an, in seiner Stimme lag etwas Versöhnliches, wie bei einem Vater, der seinem ungezogenen Sohn eine Hand hinreicht. »Oder, um es anders zu sagen: Es gibt zwei Dinge, die wir so schnell wie möglich ins reine bringen müssen. Das eine ist die Frage, ob die Kinder Abkömmlinge ihrer Väter sind. Die andere ist …«
Sigmund Berli erhob sich.
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte Yngvar.
»Dann sieh zu, daß du fertig wirst. Ich habe viel zu tun.«
»Wir müssen feststellen, woran Kim und Sarah gestorben sind.«
»Die Ärzte sagen, daß sie das nicht wissen.«
»Dann müssen sie sorgfältiger suchen. Neue Untersuchungen anstellen. Was weiß ich. Wir müssen wissen, woran die Kinder gestorben sind,
Weitere Kostenlose Bücher