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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Fensterbänken standen keine Blumentöpfe.
    »Haben Sie Revheim gelesen?«, fragte Hansvold freundlich.
    »Ja. Fast alles von ihm, glaube ich. Er ist wohl einer von denen, auf die man in der Schulzeit so richtig abfährt. Bei mir war das jedenfalls so. Er war so … direkt. Aufrührerisch, das haben Sie ja selbst gesagt. So stark … in seiner Einsamkeit. Ganz allein mit dem, woran er glaubte. Das macht Eindruck, in dem Alter.«
    »Es lag wohl noch mehr darin«, sagte der Mann. »In dem, was er geschrieben hat, meine ich. Was junge Leute in diesem Alter beschäftigt. Junge Leute im Gymnasialalter.«
    »Ja. Anders Mohaug, war der …«
    »Wie gesagt«, sagte Hansvold und seufzte tief. »Anders Mohaug ließ sich leicht lenken. Während die anderen Jugendlichen in der Nachbarschaft ihm aus dem Weg gingen, war Asbjørn Revheim ihm freundlicher gesonnen. Oder …«
    Wieder schaute er ins Leere, schien seine Erinnerungen zurücklaufen zu lassen und nicht so recht zu wissen, wo er anhalten sollte.
    »Er war übrigens nicht freundlich. Er hat Anders ausgenutzt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Außerdem war er ziemlich boshaft, das hat er immer wieder unter Beweis gestellt. Auch in seinen Büchern. Anders Mohaug, ein schwerfälliger, langsam denkender Junge. In jeder Hinsicht. Das ist keine Freundschaft.«
    »Sagen Sie das nicht«, sagte Inger Johanne.
    »Doch, das sage ich.«
    Zum ersten Mal lag in seiner Stimme eine gewisse Schärfe.
    »Haben Sie jemals«, fragte Inger Johanne schnell, »davon gehört, daß er mit der Polizei zu tun hatte, 1956?«
    »Was? Mit der Polizei?«
    »Ja. Ist Anders je mit der Polizei in Konflikt geraten?«
    »Tja … er wurde ja immer wieder auf die Wache geholt, wenn Asbjørn irgend etwas ausgefressen und den armen Kerl in die Sache hineingezogen hatte. Aber ernst war das alles nie.«
    »Sind Sie sich da ganz sicher?«
    »Sagen Sie …«
    Jetzt hätte sie schwören können, daß er so scharf sehen konnte wie ein Adler. Die mattgraue Hornhaut ließ das linke Auge größer aussehen als das rechte, sie konnte ihren Blick nicht davon lösen.
    »Könnten Sie ein wenig präziser sein?«
    »Ich habe Grund zu der Annahme, daß Frau Mohaug 1965, nach dem Tod ihres Sohnes, Kontakt zur Polizei aufgenommen hat. Sie glaubte, ihr Sohn habe sich viele Jahre zuvor eines Verbrechens schuldig gemacht. Eines schwerwiegenden Verbrechens. Für das ein anderer verurteilt worden war.«
    »Agnes Mohaug? Frau Mohaug soll ihren eigenen Sohn bei der Polizei angezeigt haben? Ausgeschlossen.«
    Er schüttelte energisch den Kopf.
    »Aber ihr Sohn war doch schon tot.«
    »Das spielt keine Rolle. Diese Frau hat für Anders gelebt. Sie hatte doch nur ihn. Und wir können sie nur dafür bewundern, daß sie ihn bis zuletzt gepflegt und sich um ihn gekümmert hat. Ihn aus irgendeinem Grund anzuzeigen … auch nachdem …«
    Er gab seine Versuche mit der Pfeife auf und legte sie auf den Rand des Aschenbechers.
    »Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.«
    »Und Sie haben niemals … irgendwelche Gerüchte gehört?«
    Hansvold schmunzelte und faltete die Hände über seinem Bauch.
    »Ich habe viel mehr Gerüchte gehört, als mir lieb ist. Das hier ist eine Kleinstadt. Aber wenn Sie Gerüchte über Anders meinen, dann … nein. Nicht in der Richtung, die Sie andeuten.«
    »Und welche Richtung ist das?«
    »Daß der Junge ein schlimmeres Verbrechen begangen haben könnte, als sich zur Beihilfe an einem Katzenmord verleiten zu lassen.«
    »Dann will ich Sie nicht länger stören.«
    »Sie stören mich durchaus nicht. Es war nett, Besuch zu bekommen.«
    Als er sie zur Tür brachte, fiel ihr an der Wand in der Diele das große Foto einer Frau von Mitte Fünfzig auf. Die auffällige Brille ließ darauf schließen, daß das Bild aus den siebziger Jahren stammte.
    »Meine Frau«, sagte Hansvold und nickte kurz zu dem Porträt hinüber. »Randi. Wunderbare Frau. Sie konnte mit Anders auf eine ganz besondere Art umgehen. Frau Mohaug hat sich da nie Sorgen gemacht. Wenn Anders hier war, konnten sie sich stundenlang mit Puzzlespielen oder Canasta beschäftigen. Randi ließ ihn immer gewinnen. Wie ein kleines Kind.«
    »Was er ja wohl auch war«, sagte Inger Johanne. »In gewisser Hinsicht.«
    »Ja. In gewisser Hinsicht war er ein kleiner Junge.«
    Er drehte sich zu ihr um und fuhr sich über den Nasenrücken.
    »Aber er war auch ein Mann. Ein großer kräftiger Mann. Vergessen Sie das nicht.«
    »Das werde ich nicht«, sagte Inger

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