In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
Kanzlei neuntausendneunhundert unverdiente Dollar einnimmt und irgendein armer Teufel im Gefängnis sitzt – vielleicht für etwas, das er nicht getan hat. Die meisten Pflichtverteidiger lernen ihren Mandanten erst bei Prozessbeginn im Gerichtssaal kennen. Wir haben betrunkene Anwälte erlebt, aber auch solche, die während der Verhandlung eingeschlafen sind. Sie tun praktisch nichts. Sie überprüfen nichts. Ein Jahr vor meiner Ankunft in Pecos hat hier zum Beispiel ein Kerl wegen Vergewaltigung eines Kindes vor Gericht gestanden. Er wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Dann hat eine Rechtshilfeorganisation wie die, bei der Sie heute waren, nachgewiesen, dass der
Mann zum Tatzeitpunkt in Untersuchungshaft gesessen hatte. Im Gefängnis, Reacher. Hunderte von Meilen entfernt. Dort hat er auf ein Verfahren wegen Autodiebstahls gewartet. Das ließ sich ganz eindeutig nachweisen, es gab Gerichtsakten, die öffentlich zugänglich waren, aber der erste Verteidiger hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, seinem Hinweis nachzugehen.«
»Kein Ruhmesblatt«, sagte Reacher.
»Deshalb tu ich zwei Dinge«, sagte Walker. »Erstens bemühe ich mich, zum Richter gewählt zu werden, damit ich in Zukunft solche Fehlurteile vermeiden helfen kann. Zweitens vertreten wir hier in der Staatsanwaltschaft grundsätzlich beide Seiten. In jedem einzelnen Fall, in dem einer von uns eine Anklage vorbereitet, übernimmt ein anderer die Arbeit der Verteidigung und versucht, sie zu widerlegen. Wir geben uns wirklich Mühe damit, weil wir wissen, dass es außer uns niemand tut, und ich nachts nicht schlafen könnte, wenn wir’s nicht täten.«
»Carmen Greers Verteidigung ist hieb- und stichfest«, sagte Reacher.
Hack Walker starrte die Schreibtischplatte an.
»Nein, der Fall Greer ist ein Albtraum«, widersprach er. »Er ist ein komplettes Desaster – in jeder Beziehung. Für mich persönlich als Mann, als Staatsanwalt und als Kandidat fürs Richteramt.«
»Sie müssen sich für befangen erklären.«
Walker sah auf. »Natürlich werde ich mich für befangen erklären. Das versteht sich von selbst. Aber die Sache betrifft mich trotzdem persönlich. Und ich bleibe Chef dieser Staatsanwaltschaft. Dies ist weiterhin meine Behörde, was auch passieren mag. Und das wird sich auf mich auswirken.«
»Wollen Sie mir nicht erklären, worin das Problem besteht?«
»Ist Ihnen das nicht klar? Sloop war mein Freund. Und ich
bin ein ehrlicher Staatsanwalt. Deshalb wünsche ich mir, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Aber ich stehe möglicherweise vor der Entscheidung, eine Hispanierin in die Todeszelle schicken zu müssen. Geschieht das, kann ich die Wahl zum Richter vergessen, stimmt’s? In diesem County ist der Anteil der stimmberechtigten Hispanier überdurchschnittlich hoch. Aber ich möchte Richter werden. Weil ich in diesem Amt Gutes bewirken könnte. Und beantrage ich jetzt gegen eine Angehörige einer ethnischen Minderheit die Todesstrafe, bin ich erledigt. Nicht nur hier. Das wird überall Schlagzeilen machen. Können Sie sich vorstellen, was die New York Times dazu sagen wird? Sie hält uns seit jeher für beschränkte Barbaren und Inzüchter. Das wird mir den Rest meines Lebens anhängen.«
»Dann erheben Sie eben keine Anklage. Das wäre ohnehin nicht gerecht. Weil das schlicht und einfach Notwehr war.«
»Davon hat Carmen Sie überzeugt?«
»Es liegt auf der Hand.«
»Ich wollte, es wäre so. Ich würde meinen rechten Arm dafür geben. Zum ersten Mal in meiner Laufbahn möchte ich zu allen möglichen Tricks greifen, um diese Sache irgendwie aus der Welt zu schaffen.«
Reacher starrte ihn an. »Dazu bräuchten Sie keine Tricks. Oder etwa doch?«
»Sprechen wir die Sache mal durch«, schlug Walker vor. »Schritt für Schritt, von Anfang an. Eine Verteidigung, die sich auf häusliche Gewalt stützt, kann Erfolg haben, aber die Reaktion muss impulsiv, aus irgendeiner bedrohlichen Situation heraus erfolgt sein. Ist Ihnen das klar? So steht’s im Gesetz. Jeglicher Vorsatz muss ausgeschlossen sein. Und Carmen hat alles genau im Voraus geplant. Das ist eine Tatsache, die sich nicht leugnen lässt. Als sie erfahren hat, dass er entlassen würde, ist sie praktisch sofort losgegangen und hat sich eine Pistole beschafft. Da die Unterlagen über alle Waffenverkäufe
bei uns einzureichen sind, weiß ich, dass das stimmt. Sie war vorbereitet und hat nur darauf gewartet, ihn in einen Hinterhalt zu locken.«
Reacher schwieg.
»Ich
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