In Liebe, Rachel
weiteres Familienmitglied im Krankenhaus befand. »Ich übernehme die Rechnung, wenn das Ihre Sorge ist.«
In diesem Moment bemerkte Jo, wie drei offiziell aussehende Personen die Empfangshalle betraten. Es waren keine Ärzte. Ganz eindeutig nicht. Zwei sprachen leise und eindringlich miteinander und blickten auf ihre Klemmbretter, als sie durch die Halle gingen. Die dritte Person war blau gekleidet und trug ein Abzeichen. Jo beobachtete, wie sie sich Grace’ Zimmer näherten und es gemeinsam betraten.
Ach du meine Güte!
Sie hatte diesen Typ Mensch schon öfter gesehen. Immer wenn ihre Mutter Sozialleistungen beantragen musste, kamen sie und parkten ihre Autos vor dem Mobile Home – eins von diesen transportablen Fertighäusern –, gingen die Einfahrt entlang und beäugten das Haus mit der verstörten Neugier von Anthropologen. Dann musterten sie ihre Mutter immer von oben bis unten, ihre geborgte Kleidung, und fragten sie, sichtlich um Gelassenheit bemüht, ob sie denn überhaupt für ein Kind sorgen könne … unter solchen Umständen.
»Okay, ich rufe meinen Anwalt an.« Jo zog ihr Handy aus der Handtasche. »Barry Leibowitz von Leibowitz & Rabin in Hoboken. Er wird den Letzten Willen bestätigen …«
»Sie dürfen hier drin kein Handy benutzen.«
»Dann nehme ich Ihr Telefon …«
»Das ist der Apparat der Notaufnahme, Ms Marcum. Gehen Sie nach draußen zum Telefonieren. Der Anwalt soll unter dieser Nummer zurückrufen.«
Jo stürmte durch die automatischen Türen. Als sie das Telefon aufklappte, spürte sie das Brennen gebieterischer Augen in ihrem Rücken. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und bemerkte, dass ihr einer der Wachleute aus dem Gebäude gefolgt war – als ob er ganz plötzlich etwas frische Luft benötigte.
Sie tippte die Nummer des Anwalts ein und erreichte nur den Anrufbeantworter. Offensichtlich hatte Barry Leibowitz keine Erfahrung mit Verbrechen. Es war beinahe halb elf Uhr abends, und seine fröhliche Ansage enthielt keine Nummer für spätabendliche Notfälle. Jo klappte das Telefon zu und atmete tief durch, bevor sie den Anruf erledigte, den sie unbedingt hatte vermeiden wollen.
»
Wo
ist sie?«
Jo bemühte sich um einen neutralen Tonfall. »Es war ein Unfall, Jessie. Ich habe ein Geräusch gehört, aufgeblickt und sie durch meinen Flur laufen sehen. Sie hat mich nicht gehört, als ich nach ihr rief. Sie ist einfach weitergelaufen … bis zum Rand der Treppe.« Jo verzog das Gesicht bei der Erinnerung an den Knall, als Grace’ Kopf gegen den Glastisch gestoßen war. »Ich habe auf einem plastischen Chirurgen bestanden. Sie wird gerade genäht.«
»Und
wo
bist
du
und rufst
mich
an, während Grace gerade wieder
zusammengeflickt
wird?«
»Ich versuche, verdammt noch mal, nicht jeden einzelnen Röntgenapparat in diesem Krankenhaus zu stören.«
»Du solltest bei ihr sein. Sie ist sieben Jahre alt und muss eine Todesangst haben. Ich komme sofort.« Jessie atmete schwer, rannte offensichtlich eine Treppe hinauf. »Was, zur Hölle, hast du nur angestellt, Jo? Sie war noch nicht mal einen Tag bei dir …«
»Jessie, wenn du jetzt nicht einfach nur meine Fragen beantwortest, wird Gracie die Nacht bei einer New Yorker Pflegefamilie verbringen, während ich eine Blechtasse gegen die Gitterstäbe einer Gefängniszelle schlage.«
»Wie bitte?«
»Stell dir das mal vor! Ich komme hier mit einem blutenden Kind an. Sie hat einen anderen Nachnamen als ich. Sie sieht mir so ähnlich wie ein Opossum einer Schneeziege. Ich weiß nicht einmal Grace’ Geburtsdatum …«
»15. Juni.«
»… ich weiß nicht, in welche Klasse sie geht …«
»Die zweite!«
»… oder ob sie an Allergien leidet, früher schon mal im Krankenhaus war oder eine Krankenversicherung hat. Die glauben hier, dass ich eine durchgeknallte Kidnapperin bin, und die Sozialarbeiter haben sich schon vor ihrem Zimmer positioniert.«
Jessie verstummte. Hinter Jo scharrte der Wachmann mit den Füßen über den Asphalt.
»Vielleicht hättest du mir also besser ein paar grundlegende Einzelheiten verraten«, fuhr Jo fort, »als du heute Morgen ihr Gepäck in meinen Kofferraum geladen hast.« Jo drehte den Papierfetzen um, den der Troll ihr gegeben hatte, und schrieb sich Grace’ Geburtsdatum und Schulklasse auf. »Jetzt sag mir ihre Krankenversicherungsnummer, damit ich dem Troll etwas zum Beißen geben kann, bis du ihn selbst anrufst, um ihn mit den restlichen Informationen zu versorgen.«
»Äh …
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