In Liebe, Rachel
herabgestiegen.«
»Ja, vom Beifahrersitz
meines
Jeeps.« Sam setzte sich auf und wühlte in seinem Rucksack. »Wie auch immer, Colin wollte das Kind in ein Krankenhaus bringen. Manche von den Ärzten kommen in diese Camps und glauben, dass es um die nächste Ecke eine Apotheke gibt. Sie fragen nach Verbandsmaterial und antibiotischer Lösung und wollen eine Pinzette gereicht haben und dann bitte auch noch Penizillin. Manche Ärzte kommen in solche Gegenden und glauben, sie können sich zum Mittagessen ausstempeln. Ich erklärte ihm also, dass das nächste Krankenhaus über hundert Kilometer durch unwegsames Gelände entfernt lag, und er starrte mich an, als ob ich verrückt geworden sei. Aber – das gestehe ich dem Mann zu – er hatte den Schock nach einer Minute verdaut.« Sam warf Kate eine kleine Tube zu – Mückenschutzmittel – und sank zurück auf einen Ellbogen. »Dann begann er, Befehle zu bellen. Sarah und ich waren die Einzigen, die Englisch sprachen, weshalb wir Morphium und Nahtmaterial zusammensuchten und der Kerl in sechs langen Stunden das Bein dieses Kindes wieder zusammenflickte. Und Sarah stand die ganze Zeit neben ihm und sah zu ihm auf, als ob er die Sonne wäre.«
Während Kate sich dick mit dem stark riechenden Mückenschutzmittel einrieb, nahm Sam die
fenny
-Flasche, trank aber nicht. Er drehte und bohrte die Flasche in die Decke. »Ich sah dabei zu, wie sie sich an diesem Tag verliebte.«
Kate hörte das Bedauern in seiner Stimme.
Er lachte ein knappes und freudloses Lachen, das mit einem Kopfschütteln erstarb. »Weißt du, was die Ironie an dem Ganzen ist, Kate?« Er setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen langen, tiefen Schluck. Dann wischte er sich mit dem Unterarm über den Mund. »Ich habe herausgefunden, dass Colin nicht einmal das Richtige tat. Er brach jede medizinische Regel, die man brechen konnte, indem er versuchte, den Jungen zusammenzuflicken. Sicherer und besser wäre es gewesen, das Bein rasch zu amputieren. Stattdessen riskierte er eine sechsstündige Operation in einer schmutzigen Hütte. Die darauffolgenden Infektionen hätten das Kind eigentlich umbringen müssen, langsam und unter großen Schmerzen. Die Chancen, dass der Junge überleben würde, standen eins zu einer Million.«
»Aber er hat überlebt.«
»Ja, Colin hat sein Wunder gewirkt.«
»Genau vor den Augen einer Pfarrerstochter«, murmelte Kate und reichte Sam die Tube zurück.
»Eine Pfarrerstochter, die Arglist nicht erkennen kann.« Sam warf das Mückenschutzmittel mit mehr Nachdruck als erforderlich in Richtung seines Rucksacks. »Sarah hat es nicht kommen sehen. Als es für den Arzt an der Zeit war abzureisen, hat er die üblichen Versprechungen gemacht. Man würde in Kontakt bleiben, hat er gesagt, sie würden sich wiedersehen. Schöne Lügen.«
»Vielleicht hat er es so gemeint.«
»Mit guten Absichten kann man sich in Gatumba nicht mal einen Nachttopf kaufen.« Sam trank die letzten Tropfen und warf die Flasche auf die Decke. »Der Arzt ist in die Staaten zurückgekehrt und hat ihr Herz auf ein Regal mit der Aufschrift ›Jugendsünden Paraguay‹ gestellt. Und das war’s dann.«
»Aber nicht für Sarah.«
Sam legte sich wieder hin und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sein Blick wanderte in den Himmel hinauf, um dem ihren auszuweichen. Er spannte die Schultern an, als ob ein Stein durch die Decke in seinen Rücken drückte. Kate fragte sich, wann Sam erkannt hatte, dass er Sarah liebte. War es im letzten Jahr gewesen, als sie wieder zusammengetroffen waren? Oder hatte er sie seit Paraguay im Auge behalten, in der Hoffnung, dass sich ihr Herz in eine andere Richtung wenden würde?
Kates eigenes Herz rührte sich, als sie an Paul dachte, Paul und sie selbst, wie es an jenem Abend gewesen war, an dem sie sich kennenlernten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Schon an diesem ersten Abend hatten sie mit Gewissheit gewusst, dass sie füreinander geschaffen waren. Wie furchtbar musste es sein, solche Gefühle zu haben, wenn sie nicht erwidert wurden! Wie unerträglich musste es sein, eine solche Verbindung für immer zu verlieren.
Sorge nagte an ihr, ein kleines Unbehagen, wie das Stechen eines Holzsplitters. Paul war so weit weg. Und sie hatten sich in so schlechter Stimmung getrennt.
Sie schüttelte die Erinnerung ab. Sie wollte sich davon nicht den ersten Urlaub seit Jahren verderben lassen. Paul brauchte einfach noch ein paar Tage, um sich zu beruhigen und endlich ein
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