In Liebe verführt
nie einen Abend mit derart unangenehmen Gefühlen verbracht. Er hatte seine Augen nicht einen Moment von den Vorhängen der Wohnung Napoleons abgewendet, und jeder Muskel in Schultern und Hals tat ihm weh. All seine gewohnte kühle Distanziertheit war verschwunden, während er wartete und sich nicht vorzustellen versuchte, was Meg gerade tat. Es misslang ihm elendiglich. Seine Phantasie ging mit ihm durch. Er verfluchte sich dafür, dass er Meg in eine so gefährliche Lage gebracht hatte. Meg war nicht Ana. Sie hatte nicht die Erfahrung der anderen und nicht Anas Motivation, die sie dazu brachte, in diesem Krieg solche Aufgaben zu übernehmen.
Ana hatte die Schrecken der Revolution überlebt, aber ihre ganze Familie verloren. Ihre österreichische Mutter war eine von Marie Antoinettes engsten Gefährtinnen gewesen, seit die Prinzessin als junges Mädchen ihre Mutter in Wien verlassen hatte. Ohne Schutz, ohne Ausbildung und ohne Ratgeber landete sie in den verworfenen Verhältnissen am französischen Hof. Ana hatte mit nichts als ihrem klugen Verstand überlebt und war mit einem ätzenden Hass gegen die Revolution und alles, wofür sie stand, nach England geflohen. Sie hatte nicht lange gebraucht, um ein neues Heim bei den antirevolutionären Netzwerken zu finden, die sich über Europa ausbreiteten. Vier Jahre zuvor hatten sie und Cosimo zum ersten Mal bei einer Mission zusammengearbeitet.
Meg Barratt dagegen war in aller Ruhe auf dem englischen Land aufgewachsen, zwar durchaus mit Bildung, aber ohne eine Welt der schmutzigen Erfahrungen. Was wusste sie schon von den mörderischen Abgründen, die in Cosimos Welt an der Tagesordnung waren? Was immer sie tat, geschah nicht aus Überzeugung, sondern aus Treue ihm gegenüber. Aus Liebe , hatte sie gesagt.
Seine Hände legten sich fester um die Zügel. In seiner Welt war ein solches Gefühl nicht erlaubt. Und dieser Abend, an dem er mit solcher Ungeduld darauf wartete, dass sich das große Tor öffnete und Meg unbeschadet herauskam, war sicher nicht der richtige Moment, um sich zu fragen, warum. Die Pferde spürten den leichten Zug in den Zügeln und hoben die Köpfe, drückten gegen das Geschirr. Das reichte, um ihn zurück in die Welt zu bringen, die er beherrschte. Er beruhigte die Pferde und setzte sich wieder auf den Kutschbock, zwang sich, Ruhe und Kraft zu bewahren.
Er bemerkte es sofort, als das Tor an der anderen Seite des Hofes sich öffnete. Er sprang vom Bock und ließ das Treppchen herunter. Dann beobachtete er Meg, die über den gepflasterten Hof auf ihn zukam. Ihre Schritte waren fest, ihr Gesicht nicht blasser als sonst, und das kleine Lächeln, das sie dem Adjutanten gestattete, als er ihr in die Kutsche half, war völlig ruhig.
Cosimo legte die Decke um ihren Schoß, in dem sie genauso ruhig ihre Hände gefaltet hatte. Er sah sie nicht an, sagte nicht mehr als die Grußworte eines guten Bediensteten, stieg auf den Kutschbock und fuhr los.
Meg begann erst zu zittern, als sie um die Kurve bei der Kirche bogen und das Haus in Sicht kam. Ihre Zähne begannen zu klappern, und das Herz klopfte in ihrer Brust wie ein durchgehendes Rennpferd.
Sie war zu keiner einzigen Bewegung mehr fähig, als Cosimo die Tür öffnete. Sie saß wie versteinert auf dem Sitz, sah ihn an und murmelte: »Ich fühle mich so schmutzig . Was habe ich nur getan ?« Dann verstummte sie, weil sie spürte, dass die Worte in einer uneindämmbaren Flut hervorströmen würden, Worte, die sie nicht würde rückgängig machen können.
Cosimo faltete ohne mit der Wimper zu zucken die Decke zusammen und sagte ganz ruhig: »Wir sind da, Madame. Eine wunderschöne Nacht. Darf ich Euch helfen?« Bei diesen Worten nahm er ihre Hand, und sein Griff schloss sich fest um ihre Finger. Seine andere Hand hob sich zu ihrem Ellenbogen, und halb gehoben, halb gezogen half er ihr aus der Kutsche. Als sie den ersten Fuß aufs Pflaster setzte, gab er ihr mit einem Arm Halt, den er um ihre Taille legte.
Es war niemand auf der Straße, aber im Haus würde sie vielleicht jemand beobachten. Meg gab allein der einfache Druck seines Arms, die Festigkeit seiner Hand um die ihre, die Kraft, die sie brauchte, um ins Haus zu gelangen.
»Schicke sofort nach Estelle«, wies der Haushofmeister den ersten Bediensteten an, dem sie in der Eingangshalle begegneten. »Madame fühlt sich etwas schwach… Madame, wenn Ihr es erlaubt, werde ich Euch die Treppe hinaufhelfen.«
»Vielen Dank, Charles«, flüsterte sie und
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