In Liebe verführt
Ganze war schon nach einer Sekunde vorüber, aber als ihr Schoß feucht wurde und sich ihr Bauch zusammenzog, wusste Meg, dass sie den Taktstock des Dirigenten verloren hatte. Dieses Orchester folgte dem Takt eines anderen.
Cosimo trat einen Schritt rückwärts. Er nickte wie für sich selbst, tätschelte seine Hosentasche und meinte: »Eins nach dem anderen. Sollen wir gehen und eine Brieftaube ausfindig machen?«
»Ja, natürlich«, sagte Meg und fügte tonlos hinzu: »Eins nach dem anderen.«
7
Arabella schaute aus den langen Fenstern ihres Salons, von dem aus man die Straße sehen konnte. Es war ein grauer Tag mit Nieselregen in Folkstone, und nur wenige Leute gingen draußen vorüber, wofür sie dankbar war. Seit Megs Verschwinden am vergangenen Nachmittag nutzten die Klatschbasen der Stadt jeden noch so hirnrissigen Vorwand, um anzuklopfen und ihre Karte abzugeben. Manche beobachteten sogar ganz offen das Haus.
Sie drehte sich um, als die Salontür geöffnet wurde, und fragte mit wachsender Hoffnung in der Stimme: »Irgendetwas Neues, Jack?«
Der Herzog von St. Jules warf seinen Hut auf den nächsten Stuhl. »Nichts«, sagte er. »Mrs. Carson von der Leihbücherei besteht darauf, dass Meg nur wenige Minuten vor dem Ausbruch des Gewitters gegangen ist. Sie hatte zwei Bücher dabei, das von Mrs. Radcliffe und noch einen Band Wordsworth.« Er schnaubte frustriert und ging hinüber zu den Karaffen auf der Anrichte. »Madeira?«
Arabella schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
Er goss sich selbst ein Glas ein und trat zu ihr ans Fenster. Sanft legte er seinen Arm um ihre Schultern. »Liebes, es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, solange wir nicht die Wahrheit kennen. Aber wir müssen dem Tratsch Einhalt gebieten.« Er sprach mit ungewöhnlichem Zögern. »Es wird Sir Mark und Lady Barratt nicht nur verletzen, sondern auch beleidigen, wenn sie den Namen ihrer Tochter und ihr geheimnisvolles Verschwinden überall als Gesprächsthema vorgesetzt bekommen. Tratsch führt zu Spekulationen, und obwohl Meg nicht direkt etwas getan hat, was das Gerede rechtfertigt, wissen wir doch, dass sie in der Vergangenheit schon des Öfteren haarscharf am Rande des Akzeptablen war mit ihren Unternehmungen.«
»Das weiß ich«, meinte Arabella. »Und an dem Tratsch bin ich allein schuld.«
Die Tatsache, dass Megs Verschwinden allgemein bekannt war, hatte sie sich ausschließlich selbst zuzuschreiben. Wenn sie mit Jack gesprochen hätte, bevor sie Alarm gab, wäre es sicher möglich gewesen, Miss Barratts Abwesenheit geheim zu halten. Doch sie hatte gewusst, dass Meg nur zur Leihbücherei hatte gehen wollen. Sie hatte gesagt, sie werde danach gleich nach Hause kommen. Als das Gewitter losbrach, war Arabella davon ausgegangen, dass Meg irgendwo Schutz davor gesucht hatte, doch als der Himmel wieder klar wurde und der Abend kam, ohne dass sie zurückkehrte oder eine Nachricht schickte, dass sie dem Sturm entkommen sei und mit einem ihrer vielen Freunde zu Abend esse, hatte Arabella in gedankenloser Panik Bedienstete überall in die Stadt geschickt, um an Türen zu klopfen und Fragen zu stellen. Dadurch war die Geschichte verbreitet worden wie Eis, das in der Sonne schmilzt.
»Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Jack knapp. »Und jetzt müssen wir uns eine brauchbare Geschichte ausdenken.«
»Und wenn sie tot ist, Jack?« Arabella stellte die Frage beinahe ausdruckslos. Der Gedanke war so schrecklich, dass sie nicht wagte, Gefühle überhaupt nur zuzulassen.
Er atmete langsam aus. »Das wäre eine Möglichkeit. Es ist immer eine Möglichkeit. Aber ich glaube es nicht, Liebes. Meg kann man nicht so einfach umbringen.«
»Schmale Fußpfade«, sagte sie düster.
»Es war mitten am Nachmittag. Sie war auf offener Straße in einem kleinen Küstenort unterwegs.«
»Also was sollen wir tun? Ich muss Sir Mark und Lady Barratt informieren.«
Jack fuhr sich mit einer Hand über die weiße Haarsträhne, die von seiner Stirn nach hinten führte. Er kannte Arabellas Stärken, ihre ruhige Kompetenz. Sie hatte ihn aus einem Sumpf von Schuldgefühlen und den Tiefen seines damaligen Jammertals befreit. Sie hatte sich in die feuchtkalte Welt eines Pariser Gefängnisses begeben und seine Schwester herausgeholt. Sie hatte Charlotte bis zu ihrem Tod beigestanden. Und er wusste nicht, wie er ihr helfen sollte, jetzt wo diese Stärke zu bröckeln begann.
Er musste die Führung übernehmen. »Das werde ich sofort tun, aber wir werden
Weitere Kostenlose Bücher