In Liebe verführt
irgendwelche Schritte auf den Decks oben. Doch jetzt hörte sie nichts außer dem Knarren von Holz und dem Klatschen des Wassers am Schiffsrumpf. Es war, als führe sie auf einem Geisterschiff. Und warum war es so dunkel?
Neugierig und etwas beunruhigt tastete sich Meg in Richtung Treppe. Dann verstand sie, warum es so dunkel war: Die Deckluke war geschlossen, so dass kein Schimmer von Sternen oder vom Mond hereindringen konnte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, weil sie plötzlich Angst hatte, dass sie eingeschlossen war. Warum hatte man sie ohne ein Wort der Erklärung allein gelassen?
Allerdings hatte sie selbst darauf bestanden, allein gelassen zu werden. Cosimo befolgte diesen Wunsch, doch dies ging ja wohl zu weit. Sie stellte einen Fuß auf die Treppe und reichte mit einer Hand nach oben, um zu prüfen, ob sie die Luke aufschieben könnte. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Meg hatte beobachtet, dass sie im Sturm manchmal von oben verschlossen wurde, wenn der Wind sehr stark war und die Wellen hin und wieder auf das Deck klatschten. Doch heute Abend gab es keinen Sturm. Feucht und regnerisch war es zwar, aber sie hatte nie bemerkt, dass die Luke verriegelt wurde, wenn es nur ein wenig regnete.
Versuchsweise klopfte Meg an die Luke und versuchte noch einmal, sie aufzudrücken. Als nichts geschah, klopfte sie noch einmal, diesmal lauter. Und jetzt geschah etwas. Die Luke wurde halb gehoben, und das weiße Gesicht von Frank Fisher erschien in der Öffnung. Er flüsterte ein dringliches Leise ! Und wirkte derart panisch, dass Meg auf der Treppe wie angewurzelt stehen blieb. Dann schlich sie auf Zehenspitzen weiter aufwärts, und Frank hielt die Luke offen, so dass sie aufs Deck hinausklettern konnte.
Sie fand sich in einer Welt aus grauem Nebel wieder, der in Schwaden um den Mast und die Reling waberte. Es herrschte fast völlige Stille, nur das Klatschen der Wellen am Schiffsrumpf war zu hören. Dabei ging fast überhaupt kein Wind. Sie konnte gerade noch das einzelne Vorsegel erkennen, unter dem die Mary Rose fuhr. Als ihre Augen sich an das seltsame, graue Licht gewöhnt hatten, erkannte sie die Gestalten der Männer, die bewegungslos an der Reling standen, und Cosimo am Steuerruder sowie Mike neben sich. Alles wirkte tatsächlich gespenstisch, dachte sie.
Frank hatte seinen Finger eindringlich auf die Lippen gedrückt, und sie deutete mit einem Nicken an, dass sie verstanden hatte. Sie schlich über das Mitteldeck und die Stufen zum Oberdeck hinauf. Köpfe drehten sich in ihre Richtung, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich überhaupt bewegte, aber sie war sicher, dass ihre Schritte keinerlei Geräusch machten, als sie vorsichtig hinüber zum Steuerruder ging.
Cosimos Blick war auf den brodelnden Nebel vor ihnen geheftet. Seine Hände nahmen kleine Veränderungen am Steuer vor, nur für einen Moment hob er die eine Hand vom Steuerruder und drückte seine Fingerspitzen gegen Megs Lippen. Als ob sie wirklich noch eine Warnung gebraucht hätte, dachte sie ärgerlich.
Sie drehte den Kopf zur Seite und schob seine Hand zum Steuerruder zurück. Die Mary Rose segelte weiter. Und dann hörte Meg Stimmen durch den Nebel. Sie sah mit einer erschreckten Frage im Blick zu Cosimo hinüber. Seine Schultern hatten sich gespannt, aber seine Hände auf dem Steuerruder waren ruhig. Ein kleines Lächeln hob seine Mundwinkel, ein Lächeln, das Meg erkannte. Es war jenes mephistophelische Lächeln, das reinen, schadenfrohen, genießerischen Triumph bedeutete.
Sie strengte sich an, um die Stimmen zu hören, und erkannte nach einer Schrecksekunde, dass dort Französisch gesprochen wurde. Zuerst konnte sie nicht erkennen, woher die Stimmen kamen, doch dann entdeckte sie ganz schwach die Umrisse eines etwa fünfzig Meter entfernten Schiffes. Dennoch blieb die Mary Rose weiter auf ihrem Kurs, glitt lautlos unter ihrem einzelnen Segel durch das ruhige Wasser dahin.
Und dann rief sie eine Stimme an, die wie ein Donnern durch den Nebel schallte. Meg vermutete, dass dafür ein Megaphon verwendet wurde. Es war eine fröhliche Begrüßung, mit leicht anzüglichen Worten, und die Forderung nach Identifikation schien nichts als eine Formalität. Cosimo zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er in makellosem Französisch zurückrief: » Bonsoir, copains. Nous sommes l’Artemis, en route à Belle Isle .«
Meg spähte zum Bug und sah, dass dort die Trikolore gehisst war. Sie schien bei ihrem beleidigten Brüten in
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