In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
sie etwas Korrektes getan, etwas Folgerichtiges inmitten des Trubels um den Tod ihres Mannes.
Das schwache Licht im Zimmer kam von der Straßenlaterne. Er sah auf die Uhr, Viertel nach sieben. War sie wach, oder würde er sich davonstehlen können? Er hatte keine Ahnung, in welchem der hässlichen Wohnheime er sich befand, aber so viele gab es in Barentsburg ja nicht. Den Weg zum Hotel würde er schon finden, vielleicht schaffte er es ja sogar, sich unbemerkt in sein Zimmer zu schleichen. Aber was dann? Was hatte er getan … Er zweifelte, ob sich das verheimlichen ließ.
»Chnuet?« Sie war wach und rüttelte ihn an der Schulter. Er drehte sich um und blickte in ihr Lächeln. Als würde ihm etwas vergeben. Für einen Moment vergaß er, dass dieses Mädchen mit den klaren, grauen Augen und den schwarzen Augenbrauen die Witwe des toten Steigers war, dessen Sarg knapp hundert Meter entfernt in der Kapelle stand.
Es wurde acht, bevor er die zerknitterten russischen Kleidungsstücke aufsammelte, die über den Boden verstreut lagen. Er schaute in den Korridor und lief auf nackten Füßen ins Badezimmer. Um diese Zeit des Tages war es wenig wahrscheinlich, dass er jemandem begegnete. Der Schichtwechsel in der Zeche fand um sechs statt.
Als Knut die Tür zum Badezimmer öffnete, stand er trotzdem dort. Der gewaltige Bergmann aus der letzten Nacht. Anton. Der Oksana nicht aus den Augen gelassen hatte. Breit wie eine Wand, nur mit einer großen Unterhose bekleidet, Tätowierungen auf dem Rücken und den enormen Oberarmen. Der Russe kratzte sich im Schritt, grinste und sagte irgendetwas Unverständliches. Knut hatte nicht den Eindruck, dass es freundlich gemeint war. Eher schien es sich um eine höhnische Provokation zu handeln. Knut murmelte einen Gruß, drückte sich rasch auf den einzigen Abtritt und schloss die Tür. Er blieb so lange auf der Toilette, bis es peinlich zu werden begann. Nach einer Weile hörte das Rauschen des Wassers auf, vor der Lokustür wurde es still. Zu seiner Erleichterung war der Russe ohne weitere Versuche der Kontaktaufnahme verschwunden.
Knut trat vor den Spiegel über der Ablage, beugte sich vor und studierte sein Gesicht. Er sah nicht gut aus. Im Laufe der letzten zwei Tage hatte er braunrote Bartstoppeln und dunkle Tränensäcke unter den Augen bekommen. Er wusch sich, zog sich an und versuchte die Sachen so zu tragen, dass sie einigermaßen ordentlich aussahen. Das Hemd knöpfte er bis zum obersten Knopf zu. Als er die dicke russische Leinenjacke überzog, bemerkte er, dass die Taschen leer waren. Wo waren sein Notizblock und die Kamera? Ganz zu schweigen von seinem Handy.
Er spürte einen Stich in der Brust. Angst. Dann beruhigte er sich. Natürlich, es lag alles noch im Hotel. Er hatte die Sachen nicht mitgenommen, als er letzte Nacht sehen wollte, woher der Lärm kam. Er hatte sich nur die Jacke übergeworfen. Jetzt gab es einen Grund mehr, rasch ins Hotel zurückzukehren.
Notizblock, Kamera und Handy lagen nicht im Hotelzimmer. Knut atmete tief durch, setzte sich auf das ungemachte Bett. Seine zerknitterte Kleidung hing mit getrockneten Salzwasserrändern über dem anderen Bett. Die Plastiktüte lag in einer Ecke, leer. Er war sicher, dass der Notizblock und die Kamera auf dem Tisch gelegen hatten. Bei dem Handy konnte er sich nicht mehr erinnern, was er nach dem Gespräch mit dem Polizeichef damit getan hatte. Knut stöhnte und stützte den Kopf in die Hände.
Seine Situation in Barentsburg war mit einem Mal problematisch geworden. Knut hätte den Kopf an die Wand schlagen können. Alle hatten gesehen, wie Oksana und er das Fest verließen. Bestimmt hatte jemand mitbekommen, wie sie zum Wohnheim am Rand der Siedlung gingen. Vielleicht wurde schon während des Frühstücks in der Arbeiterkantine darüber geklatscht? Hatte der Dolmetscher etwas gehört? Der scharfe Ton, den er anschlug, als er Knut abholte, war unangenehm.
»Sie haben sich sofort beim Konsul einzufinden. Es gibt einiges, worüber er mit Ihnen sprechen will. Er wartet auf Sie.«
»Meine persönlichen Dinge sind aus dem Hotelzimmer verschwunden. Wissen Sie, wo sie sind?«
»In Barentsburg stiehlt niemand, wenn Sie das andeuten wollen.«
»Nein, aber …«
»Der Konsul wird Ihnen erklären, was jetzt geschehen wird.«
Olga saß im Vorzimmer und starrte auf ihren Schreibtisch. Er meinte ein Kichern zu hören, als er vorbeiging, aber sie blickte nicht auf. Bot auch keinen Kaffee oder die widerlich süßen kleinen
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