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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Kristensen
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Zeit, die ihm wie einige Minuten vorkam, vermutlich aber nur wenige Sekunden dauerte, tauchte der Direktor wieder an der Wasseroberfläche auf. Hilflos ruderte er herum, ein Arm war beinahe senkrecht abgetrennt. Das Gesicht verzerrt zu einem Angstschrei, und doch kam kein Laut über die blau angelaufenen, grimassierenden Lippen. Um den zum Tode verurteilten Mann schäumte das Blut bereits rot auf.
    Die »Krasin« fuhr in den Grønfjord, nichts ahnend von dem Unglück am Kai. Die beiden Fischkutter und die beiden Fabriktrawler folgten in ihrem Kielwasser – in langsamer Fahrt, wie es sich für Schiffe mit einem derart feierlichen Auftrag gehörte. Ein letzter Stoß aus dem Horn, dann waren die Schiffe außer Sicht. Der Sarg mit dem Toten aus Barentsburg wurde – eher aus praktischen Gründen als aus Respekt – auf dem dritten Zwischendeck in einen Transportbehälter verladen und in einen der Kühlräume gestellt.
    Die übrigen Kühlräume waren bereits voll, einige mit wissenschaftlichen Proben, die für Sankt Petersburg bestimmt waren, andere mit einer großen Anzahl von Kisten mit Fisch, die zu einem Frachtschiff gebracht wurden, das unweit von Murmansk auf sie wartete.

KAPITEL 26 Die Suche
    Die Zuschauer begriffen erst nach einer Weile, dass sie überflüssig waren und die verzweifelten Versuche behinderten, den Zechendirektor de Rustin noch lebendig zu bergen. Ein paar kleinere Boote wurden eilig zu Wasser gelassen. Die Suchmannschaften taten, was sie konnten, doch ihre Aufgabe war hoffnungslos. Frostschwaden stiegen von dem ölglatten, dümpelnden Meerwasser auf und hüllten die Männer in einen beißend kalten Nebel, der sämtliche Wärme aus ihnen heraussaugte. Die Gezeitenströmung drückte die Boote zwischen die großen Holzpfosten, die den Kai stützten. Dort fand man die meisten Leichenteile.
    Knut beteiligte sich bis zum Ende an der Suche. Ihm war kalt, er war durchnässt und erschöpft, aber er wollte diesen hoffnungslos chaotischen Tatort nicht verlassen, bevor er nicht alles in seiner Macht Stehende versucht hatte, um weitere Informationen über das Unglück zu sammeln. Er hatte das Gefühl einer persönlichen Schuld. Hatte er wirklich alles getan, um diesen makabren Todesfall zu verhindern? Er hätte Alarm schlagen müssen, als er sah, wie die einzige Trosse, die den schweren Eisbrecher noch am Kai hielt, vom Poller gelöst wurde. Vielleicht hätte er die Aufmerksamkeit eines Matrosen erregen oder die Leute auf der Brücke warnen können. Wäre der Hauptmotor nicht angelassen worden, bevor der Direktor sicher auf dem Kai stand, hätte sich das Unglück vermeiden lassen.
    Aber hätte er es geschafft? Hatte der Direktor zu diesem Zeitpunkt nicht bereits das Gleichgewicht verloren? Alles war so schnell gegangen. Knut konnte sich nicht an die Reihenfolge der Ereignisse erinnern. Er versuchte, alles zu verdrängen, er hatte Angst vor falschen Erinnerungen, die er sich nur einbildete. Bei einer Sache war er allerdings sicher. Die letzte Trosse hatte kein Seemann losgeworfen. Sondern jemand aus Barentsburg.
    Was nach der tragischen Begegnung des Bergwerksdirektors mit den enormen Propellerblättern der »Krasin« zu finden war, wurde in einem groben Sack aus Segeltuch gesammelt und auf einer Bahre in die Siedlung gebracht. Wieder verwendete man die Sporthalle zu einem schaurigen Zweck, der im Widerspruch zu ihrer eigentlichen kulturellen und gesundheitsfördernden Intention stand. Die Leichenteile wurden auf einem der Tische ausgebreitet, der noch vor wenigen Stunden für das Mittagessen gedient hatte. Der Rest des Saals war leergeräumt und gesäubert. Noch einmal wurden die eisernen Kerzenleuchter geholt. Die Flammen der weißen Kirchenkerzen flackerten im Zug des ständig offen stehenden Dachfensters. Hinter diesen Vorkehrungen standen eine organisierende Hand und ein starker Wille. Ljudmila – woher nahm sie diese Kraft?
    Am späten Abend stolperte Knut im Dunkeln die endlosen Treppen vom Kai hinauf. Natürlich führte auch eine Straße zum Platz. Sie schlängelte sich nach Norden, beschrieb einen Bogen und erreichte die Siedlung direkt an der Kapelle. Die erschöpfte Rettungsmannschaft war längst über die Straße in den Ort gebracht worden, aber Knut hatte den Transport abgelehnt. Er wollte einige Minuten für sich haben, bevor er mit Anne Lise und Tom sprach. Sollte er ihnen erzählen, was er unmittelbar vor dem Unglück gesehen hatte? Es wäre feige, es nicht zu tun, andererseits war es unklug,

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