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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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meinem Tod war sie dreizehn, er war süß, und er stattete ihr am Weihnachtstag einen Besuch ab.
    »Ich habe gehört, du bist als begabt eingestuft worden«, sagte er, weil keiner sprach. »Ich auch.«
    Das erinnerte meine Mutter daran, ihre Autopilot-Gastgeberin-Funktion einzuschalten. »Möchtest du dich nicht hinsetzen?«, brachte sie hervor. »Ich habe Eierflip in der Küche.«
    »Das wäre wunderbar«, sagte Samuel Heckler und bot meiner Schwester zu ihrem und meinem Erstaunen seinen Arm.
    »Was ist das?«, fragte Buckley, der hinterhertrottete, und zeigte auf das, was er für einen Reisekoffer hielt.
    »Ein Alt«, sagte Samuel Heckler.
    »Was?«, fragte Buckley.
    Da sprach Lindsey. »Samuel spielt Altsaxofon.«
    »Ein bisschen«, sagte Samuel.
    Mein Bruder erkundigte sich nicht, was ein Saxofon sei. Er wusste, wie Lindsey drauf war. Sie machte einen auf, wie ich es nannte, hochnäsig-bräsig, also »Keine Sorge, Buckley, Lindsey macht einen auf hochnäsig-bräsig.« Meistens kitzelte ich ihn, wenn ich das Wort sagte, und grub mich manchmal mit dem Kopf in seinen Bauch, stupste ihn und sagte immer wieder »hochnäsig-bräsig«, bis sein trillerndes Lachen mich überflutete.
    Buckley folgte den dreien in die Küche und fragte, wie er es mindestens einmal täglich tat: »Wo ist Susie?«
    Sie schwiegen. Samuel blickte Lindsey an.
    »Buckley«, rief mein Vater aus dem Nebenzimmer, »komm und spiel Monopoly mit mir.«
    Mein Bruder war noch nie aufgefordert worden, Monopoly zu spielen. Alle meinten, er sei zu klein, aber das war eben der Zauber von Weihnachten. Er stürzte ins Wohnzimmer, und mein Vater hob ihn hoch und setzte ihn auf seinen Schoß.
    »Siehst du diesen Schuh?«, sagte mein Vater.
    Buckley nickte.
    »Ich möchte, dass du gut zuhörst, was ich über ihn sage, okay?«
    »Susie?«, fragte mein Bruder, der die beiden irgendwie miteinander verband.
    »Ja, ich erzähle dir jetzt, wo Susie ist.«
    Ich begann oben im Himmel zu weinen. Was hätte ich sonst tun sollen?
    »Dieser Schuh war die Figur, mit der Susie Monopoly gespielt hat«, sagte er. »Ich spiele mit dem Auto oder manchmal mit der Schubkarre. Lindsey spielt mit dem Bügeleisen, und wenn deine Mutter mitspielt, nimmt sie gern die Kanone.«
    »Ist das ein Hund?«
    »Ja, das ist ein Scotchterrier.«
    »Meiner!«
    »Okay«, sagte mein Vater. Er war geduldig. Er hatte eine Möglichkeit gefunden, es zu erklären. Er hielt seinen Sohn auf dem Schoß, und während er sprach, spürte er Buckleys kleinen Körper auf seinem Knie - sein sehr menschliches, sehr warmes, sehr lebendiges Gewicht. Es tröstete ihn. »Von jetzt an ist der Scotchterrier deine Figur. Welche Figur war noch mal Susies?«
    »Der Schuh«, sagte Buckley.
    »Genau, und ich bin das Auto, deine Schwester ist das Bügeleisen, und deine Mutter ist die Kanone.«
    Mein Bruder konzentrierte sich angestrengt.
    »Jetzt legen wir mal alle Figuren aufs Brett, ja? Das kannst du für mich übernehmen.«
    Buckley griff sich eine Faust voll Figuren und dann noch eine, bis sie alle zwischen den Ereignis- und den Gemeinschaftskarten lagen.
    »Tun wir mal so, als wären die anderen Figuren Freunde von uns.«
    »So wie Nate?«
    »Genau, dein Freund Nate ist jetzt mal der Hut. Und das Brett ist die Welt. Wenn ich dir nun sage, dass, wenn ich würfele, eine der Figuren weggenommen wird, was würde das bedeuten?«
    »Dass sie nicht mehr mitspielen darf?«
    »Genau.«
    »Warum nicht?«, fragte Buckley.
    Er schaute zu meinem Vater empor; mein Vater zuckte zurück.
    »Warum nicht?«, fragte Buckley noch einmal.
    Mein Vater wollte nicht »Weil das Leben ungerecht ist« sagen oder »So ist es eben«. Er wollte etwas Gefälliges, etwas, das einem Vierjährigen den Tod erklärte. Er legte Buckley seine Hand aufs Kreuz.
    »Susie ist tot«, sagte er jetzt, unfähig, die Tatsache in irgendwelche Spielregeln einzubauen. »Weißt du, was das heißt?«
    Buckley streckte seine Hand aus und bedeckte den Schuh damit. Er guckte hoch, um zu sehen, ob seine Antwort richtig war.
    Mein Vater nickte. »Du wirst Susie nie mehr sehen, Schatz. Keiner von uns wird das.« Mein Vater weinte. Buckley schaute unserem Vater in die Augen und begriff nicht ganz.
    Buckley bewahrte den Schuh auf seiner Kommode auf, bis er eines Tages nicht mehr da war und auch noch so ausgiebiges Suchen ihn nicht zu Tage förderte.
    In der Küche machte meine Mutter den Eierflip fertig und entschuldigte sich dann. Sie ging ins Esszimmer und zählte Besteck, indem

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