In meinem Himmel
sie die drei verschiedenen Gabelsorten, die Messer und die Löffel systematisch vor sich ausbreitete, »wie die Orgelpfeifen«; so hatte man es ihr in Wanamakers Brautgeschäft beigebracht, ehe ich geboren wurde. Sie sehnte sich nach einer Zigarette und danach, dass ihre Kinder, die am Leben waren, für ein Weilchen verschwänden.
»Willst du dein Geschenk nicht aufmachen?«, fragte Samuel Heckler meine Schwester.
Sie standen an der Küchentheke, an den Geschirrspüler und die Schubladen gelehnt, die Servietten und Handtücher enthielten. Im Zimmer zu ihrer Rechten saßen mein Vater und mein Bruder; auf der anderen Seite der Küche dachte meine Mutter Wedgwood Florentine, Cobalt Blue; Royal Worcester, Mountbatten; Lenox, Eternal.
Lindsey lächelte und zog an der weißen Schleife auf der Schachtel.
»Die Schleife hat meine Mom für mich gebunden«, sagte Samuel Heckler.
Sie riss das blaue Papier von dem schwarzen Samtkästchen. Vorsichtig nahm sie es in die Hand, sobald das Papier ab war. Im Himmel war ich freudig erregt. Wenn Lindsey und ich Barbie spielten, heirateten Barbie und Ken mit sechzehn. Für uns gab es nur eine wahre Liebe im Leben; mit Kompromissen oder Neuversuchen hatten wir nichts im Sinn.
»Mach es auf«, sagte Samuel Heckler.
»Ich hab Angst.«
»Brauchst du nicht.«
Er legte ihr seine Hand auf den Unterarm, und - wow! - was ich dabei empfand! Lindsey hatte einen süßen Jungen bei sich in der Küche, Vampir oder nicht. Das war eine Neuigkeit, das war eine Schlagzeile - ich war plötzlich in alles eingeweiht. Sie hätte mir hiervon nie etwas erzählt.
Was die Schachtel enthielt, war typisch oder enttäuschend oder wunderbar, je nach Blickwinkel. Es war typisch, weil er ein dreizehnjähriger Junge war, oder es war enttäuschend, weil es kein Ehering war, oder es war wunderbar. Er hatte ihr ein halbes Herz geschenkt. Es war golden, und aus seinem Hukapoo-Hemd zog er die andere Hälfte. Sie hing ihm an einer Rohlederschnur um den Hals.
Lindseys Gesicht wurde rot; meins wurde oben im Himmel rot.
Ich vergaß meinen Vater im Wohnzimmer und meine Silber zählende Mutter. Ich sah, wie Lindsey auf Samuel Heckler zutrat. Sie küsste ihn; es war herrlich. Ich war beinahe wieder lebendig.
6
Zwei Wochen vor meinem Tod ging ich später aus dem Haus als üblich, und als ich die Schule erreichte, war das Asphaltrondell, wo die Schulbusse sonst noch verharrten, leer.
Ein Fluraufseher von der Disziplinarstelle schrieb einen auf, wenn man versuchte, nach dem ersten Klingeln noch durch die Vordertür zu kommen, und ich wollte nicht während des Unterrichts per Lautsprecher aufgefordert werden, mich auf die harte Bank vor Mr. Peterfords Büro zu setzen, wo er mich, das war allgemein bekannt, übers Knie legen und mir das Hinterteil mit einem Brett versohlen würde. Er hatte den Lehrer, der fürs Werken zuständig war, gebeten, Löcher hineinzubohren, damit der Luftwiderstand beim Aufprall nicht so groß war und es stärker schmerzte, wenn es auf deinen Jeans landete.
Ich hatte mich nie so sehr verspätet oder sonst etwas so Schlimmes getan, dass ich mit dem Brett Bekanntschaft gemacht hätte, aber im Geiste sah ich es wie jeder andere Schüler so deutlich vor mir, dass mein Hintern jetzt schon brannte. Clarissa hatte mir erzählt, dass die Babykiffer, wie sie in der Junior High hießen, die Hintertür zur Theaterbühne benutzten, die von Cleo, der Hausmeisterin, die als Vollblutkifferin ohne Abschluss von der Schule abgegangen war, immer offen gelassen wurde.
Also schlich ich mich an diesem Tag in den Bereich hinter der Bühne und setzte meine Schritte vorsichtig, damit ich nicht über die diversen Schnüre und Kabel stolperte. Neben einem Gerüst blieb ich stehen und stellte meine Schultasche ab, um mir die Haare zu bürsten. Ich hatte mir angewöhnt, unser Haus mit der Glöckchenmütze zu verlassen und sie dann, sobald ich hinter dem Haus der O'Dwyers Deckung gefunden hatte, gegen eine alte, eng anliegende schwarze Strickmütze meines Vaters einzutauschen. Davon war mein Haar statisch aufgeladen, und so führte mich mein erster Gang meistens in die Mädchentoilette, wo ich es glatt bürstete.
»Du bist schön, Susie Salmon.«
Ich hörte die Stimme, konnte sie aber nicht gleich zuordnen. Ich schaute mich um.
»Hier«, sagte die Stimme.
Ich blickte nach oben und sah Kopf und Rumpf von Ray Singh über das Gerüst über meinem Kopf gebeugt.
»Hallo«, sagte er.
Ich wusste, dass Ray Singh in mich
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