In meinem kleinen Land
der Fleck auf dem Teppich fehlt.
Eigentlich hat der Fleck aus dem anderen Zimmer etwas Besonderes gemacht. Er hat es abgehoben aus dem Einerlei von Tausenden von Hotelketten-Zimmern. Irgendein Vertreter kam wohl eines Abends aus der Hotelbar in sein Zimmer. Und angeekelt von der Gleichförmigkeit seiner eigenen und der Existenz dieses Zimmer beschloss er, den Raum umzugestalten. Und wie reagiere ich auf diesen kreativen Akt, auf diesen verzweifelten Ausdruck von Anarchie und Opposition? Lehne dieses Zimmer ab, gerade weil es nicht so ist wie das Normzimmer. Beinahe überlege ich, ob ich nicht doch das Zimmer mit dem Fleck zurückhaben will.
Im Itzehoer Stadtkern fallen zwei große weiße Hochhäuser auf, die einst womöglich in der Hoffnung errichtet wurden, dass sämtliche Frankfurter Banken ihren Sitz nach Itzehoe verlegen. Daraus wurde aber nichts. Gleichsam ungewöhnlich riesig für einen Ort dieser Größe ist erstens der Friedhof und zweitens der Pornoladen Marke «Orion», an dem man vorbeikommt, wenn man in die Fußgängerzone möchte.
Irgendwas ist hier schiefgelaufen. Schwer zu sagen, was es ist, aber dieses Städtchen hat eigenartige Vibes. In Oldenburg weiß man gleich, dass es nett wird. Da sind die Häuser hell, Fahrräder klingeln, Studenten plappern, und außen rum grünt es prachtvoll. In Itzehoe ist das anders. Keine weißen Häuser, keine Fahrradklingeln, keine Studenten, immerhin ein blühender Kirschbaum mitten in der Stadt.
Ich passiere geschlossene Geschäfte, schmutzige Fenster, Karstadt und ein verrammeltes Kino, auf dem in geschwungenen Lettern «Lichtschauspielhaus» steht. Nebenan gibt es Eis. Ich kaufe zwei Kugeln und versuche immer noch rauszufinden, was hier los ist, außer: nichts. Ich setze mich dazu auf einen Fußgängerzonensitz aus Eisendraht. Diese öffentlichen Sitzmöbel sind paradox: Fußgänger sollen dort verweilen, ein Päuschen einlegen, miteinander plaudern, am besten über die Anschaffungen, die sie gleich noch tätigen wollen. Tatsächlich sind diese Drahtmöbel aber so ungemütlich, dass man darauf überhaupt nicht sitzen kann. Ursache ist der Wunsch der Stadtverwaltung, diese Dinger so zu gestalten, dass sich Penner darauf nicht niederlassen möchten. Die Frage ist dann natürlich: Warum sollte jemand anders sich daraufsetzen wollen, wenn es schon die Obdachlosen nicht möchten? Und so bin ich der einzige Mensch in Itzehoe, der auf so einer eisernen Lady sitzt. Vielleicht gucken die mich deshalb so erstaunt an.
Begebe mich auf Nahrungssuche. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn die meisten Speiselokale in Itzehoe öffnen nicht vor achtzehn Uhr. Vorher lohnt es sich nicht. Die Itzehoer sind nicht so interessiert am Essen.
Ich lande bei einem Griechen, der mir zur Begrüßung einen trüben Ouzo in einem geeisten Glas bringt. «Wieso denn vorher?», frage ich.
«Ist besser so», entgegnet er mit ernster Miene.
«Aha.»
«Hinterher kriegen Sie noch einen.»
«Noch einen?»
«Sie werden ihn brauchen.»
Ich bestelle eine Apfelschorle und Souvlaki und mache mir große Sorgen, die sich aber als unbegründet herausstellen, weil das Fleisch ausgezeichnet und auf den Punkt gegrillt ist. Ich möchte behaupten, noch nie so einen guten Fleischspieß gegessen zu haben. Den zweiten Ouzo benötige ich trotzdem, denn während ich am Fenster des Restaurants sitze, parkt direkt vor dem Haus ein fliederfarbener Kleinwagen, in dem zwei junge Männer sitzen. Sie sehen aus wie Mensch gewordene Samenstränge mit Baseballmützen und hören in einer faszinierenden Lautstärke Techno. Ja: TECHNO, und zwar deutschen Techno. Die Jungs hören tatsächlich Scooter, dass die mit schwarzen Flächenaufklebern, sogenannter Fickfolie, verdunkelten Scheiben zittern. Auch die Scheiben der Taverne klappern im Fensterkitt. Ich würde noch einen dritten Ouzo nehmen, aber ich muss noch arbeiten.
In der Buchhandlung ist gut die Hälfte der Stühle besetzt. Erwartungsfrohe Itzehoer sitzen darauf und wollen, dass es losgeht. Zu Beginn einer Lesung mache ich ein paar Witze. Es sind eigentlich an jedem Abend dieselben. Nach zwei Lachern steht fest, zu wie viel Prozent das Publikum aus welchen Sorten Zuschauern besteht.
Es gibt zum Beispiel in jeder Lesung amüsierwillige, richtiggehend exaltierte Besucher. Ich nenne sie auch die aufgeregt Begeisterten. Das sind Leute, die gerne und viel und laut lachen und auch zwischendurch applaudieren. Relativ viele Studenten und große Frauencliquen
Weitere Kostenlose Bücher