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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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fünfundzwanzig Jahren statt. Niemand kennt mehr das Ergebnis dieses Spiels, und trotzdem kann sich jeder daran erinnern.
    Ich sah damals mit meinen Brüdern die «Sportschau», und das Spiel Werder Bremen gegen Arminia Bielefeld hatte für uns ungefähr denselben Stellenwert wie, sagen wir mal, die Begegnung Traktor Kniwcz gegen Torpedo Omsk. Ich interessierte mich damals ausschließlich für Fortuna Düsseldorf und den FC Bayern, eine Kombination, für die ich noch heute in beiden Lagern ausgelacht werde.
    Auf jeden Fall sahen wir eher desinteressiert zu, bis plötzlich der Bremer Verteidiger Norbert Siegmann wie Hulk auf den Bielefelder leptosomen Pazifisten Ewald Lienen zuschoss und ihm mit einem Stollen seines rechten Schuhs den rechten Oberschenkel aufschlitzte. Ich hatte zuvor noch nie etwas von Norbert Siegmann gehört. Keine Ahnung, ob der jemals durch etwas anderes aufgefallen ist als durch dieses entsetzliche Foul. Lienen drückte mit beiden Händen den enormen Schlitz zusammen, wie um zu verhindern, dass das Innere des Beines einfach herausfiel. Etwas Länglich-Weißes schimmerte aus der Wunde. War das etwa der Oberschenkelknochen? Eine Lehrstunde in Anatomie mit Professor Siegmann.
    Lienen saß nun auf dem Rasen, hob anklagend beide Arme, sah das aufgeschnittene Bein an, erhob sich wieder, lief blutend über den Platz. Wir waren schockiert, fasziniert, traumatisiert – und blieben bis zum «aktuellen sportstudio» wach, um das Foul noch einmal zu sehen. Es gab damals kein Privatfernsehen, derartige Events waren höchst selten. Wir fanden, die Wunde sah voll geil aus. Richtig zombiemäßig.

    Dieses Ereignis ging in die Fußballgeschichte ein. Sonst verbinde ich nichts mit der Stadt Bielefeld. Meine einzige direkte Begegnung mit ihr hatte ich einmal vor Jahren in Berlin. Ich verzehrte damals an einer Imbissbude am Bahnhof Zoo eine erstklassige Currywurst. Neben mir stand ein elegantes Ehepaar und tat dasselbe. Die Dame rief nach dem ersten Bissen dem Imbissbudenmann zu: «Die ist ja ausgezeichnet, Ihre Currywurst. Wo kommt die denn her, diese Wurst?» Der geschmeichelte Imbissbudenmann strich die Hände an seiner Schürze ab und antwortete: «Unsere Wurst kommt aus Bielefeld.» Da ließ die Dame ihre Plastikgabel sinken, verharrte einen Moment still und sagte mit einem noch nie gehörten Ausdruck von Überraschung: «Ich komme auch aus Bielefeld.»

    In der Innenstadt wird viel gebaut, es gibt ein Multiplex-Kino und eine befriedigende Lokaldichte. Was macht man nun also am Nachmittag? Man kauft was, zum Beispiel eine Schutzhülle für seinen iPod, der nach zwei Wochen Lesereise bereits aussieht wie das Fenster einer Berliner U-Bahn. In Münster ist er mir am Bahnhof aus der Jackentasche gefallen. Nun hat er eine Delle, funktioniert aber noch einwandfrei.
    Also betrete ich einen Laden und nehme die Beratung eines jungen Mannes in einem spackigen T-Shirt in Anspruch, der mir anhand meines Gerätes zeigen will, wie der Plastikschuber funktioniert, den er mir verkaufen möchte. Er quetscht meinen iPod hinein und bekommt dann die Verschlusskappe nicht aufgesetzt. Zu eng, findet er. Dann versucht er, den iPod wieder aus der Hülle zu fummeln, aber das geht nicht. Viel zu eng, findet er. Er drückt mit drei Fingern gegen die Unterseite des Players. Er drückt mit einem Bleistift. Er läuft rot an. Ich sage, dass ich dem Produkt nicht traue.
    «Ich auch nicht», keucht er zurück.
    «Machen Sie ihn bitte nicht kaputt», sage ich besorgt. «Sie kriegen ’n neuen», antwortet er mit einem Rest von Jovialität, bevor er sich daranmacht, die Plastikhülle mit einer Büroschere zu zerbrechen.
    «Machen Sie sich keine Sorgen», ächzt er.
    «Doch», antworte ich.
    «Ich nehme die Hülle sofort aus dem Sortiment.»
    «Das finde ich tröstlich.»
    «Scheißding», brüllt er und ignoriert das klingelnde Telefon. Dann macht es «knack», Kunststoff splittert, er hat sein grauenvolles Werk verrichtet. Mein iPod funktioniert wider Erwarten noch. Ich erwerbe schließlich für 29,90   Euro eine Silikonhülle, die sich leicht über das Gerät ziehen lässt und schnell schmutzig wird.

    Die freundliche Dame im Bistro rät mir dringend vom Camembert ab.
    «Den würde ich nicht essen», sagt sie.
    «Und warum nicht?», frage ich.
    «Zu klein und zu teuer. Essen Sie lieber ein Baguette.»
    Ich esse also ein Baguette und anschließend noch einen Bienenstich, vor dem sie mich leider nicht gewarnt hat. Kleiner Lacher auf dem

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