Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
nicht an seine Antworten. Aber an die Bratensülze schon.
    Das kommt daher, dass Bratensülze ein Generationenessen ist. Ich verbinde Horst Ehmke mit seiner Generation und seine Generation mit bestimmten Speisen. Es ist zu befürchten, dass viele dieser Gerichte allmählich verschwinden, wenn die Generation der zwischen 1920 und 1940 Geborenen sich nicht mehr um ihren Erhalt kümmert.
    Akut gefährdet sind vor allem Wurstwaren, zum Beispiel die Zungenwurst, die Blutwurst, zudem Innereien wie Nieren, Leber, Herz und alle Arten von Schmalz, für deren Verzehr die meisten unter Vierzigjährigen heute kein Verständnis mehr aufbringen.
    Wir sind mit fettarmer Geflügelwurst groß geworden, mit Putensalami zum Beispiel. Eigentlich ein schlimmes Schicksal. Unsere Eltern haben noch grobe und gröbste Leberwurst schätzengelernt, mit riesigen Fettbrocken darin. Wir finden das eklig, und was haben wir davon? Gutfried-Wurst! Es gab einmal einen Werbespot für Gutfried-Wurst, wo ein Spacko in Devisenhändler-Aufmachung ein Treppengeländer hinunterrutschte und dazu sang: «Gutfried-Wurst ist gut für mich, oh yeah, goody goody!» Da muss man sich nicht wundern, wenn die Generationen sich irgendwie entfremdet gegenüberstehen. Hier die Alten, die eine gepökelte Rinderzunge noch zu schätzen wissen, dort die Jungen, die nichts lieber mögen als Wurst, die tunlichst nichts mehr mit Tier zu tun hat. Obwohl ich mit einer gewissen Leidenschaft auf der Seite der Jugend stehe, finde ich doch bedauerlich, dass der Metzger der Zukunft keine Blutwurst mehr macht, sich nicht mehr schwitzend an die Hausschlachtung ihm bekannter Schweine macht, sondern bloß noch Säugetier-Biomasse zum Braten, Kochen, Grillen und roh Essen im Großmarkt kauft.

    Das Fernsehprogramm auf der Lesereise ist nicht so dolle. Ich sehe manchmal nachmittags fern, vor der Lesung. Selten vorm Einschlafen, aber morgens muss ich immer fernsehen. Ich bin ein großer Morgensgucker, Frühstücksfernsehen.
    Heute gab es eine deutsche Prominente zu sehen, die sich in den Finger schnitt und dann sagte: «Ich leide auf hohem Niveau.» So eine Quatschbirne! Kann mal jemand den Menschen dieses Hohe-Niveau-Gewäsch abgewöhnen? Das soll ja angeblich ironisch sein und bedeutet: «Mir geht es eigentlich vergleichsweise gut, ich jammere also ohne Grund, sozusagen von einer hohen, angenehmen Warte aus.» Tatsächlich müsste es dann aber heißen: «Ich jammere auf ganz niedrigem Niveau», denn mit dem Niveau ist ja eigentlich das des Schmerzes gemeint – und das ist nicht hoch, weil sich die blöde Schnalle ja bloß ins Fingerchen geschnitten hat und nicht auf eine Landmine getreten ist.

Dieburg. Hey, Hey, May, May
    15. November 2005
    Es ist schon eine Gnade, Gedichte lesen zu dürfen. Erst in der Lyrik kommt zutage, was Sprache vermag, zu welchen assoziativen Kraftakten, welch anrührenden Muskelspielen sie in der Lage ist. Hier ist der Beweis. Mit den folgenden Zeilen beginnt ein Mundartgedicht, das mir zugelaufen ist:
«Koch dir e Supp aus Ebbelwoi,
die is gesund un schmeckt auch fei,
recht preiswert isse außerdem
un es Rezept is sehr bequem.»
    Herrlich, was? Das geht noch ewig so weiter, dabei ist das Rezept schnell erzählt: Man muss Ebbelwoi warm machen und mit einer Milch-Mondamin-Soße vermischen. Aber warum soll man etwas kurz fassen, wenn man es auch auf Hessisch sagen kann?
    Aber in Hessen wird nicht nur mundartlich Geselliges gedichtet, auch der Protestreim hat hier seit vielen Jahren ein warmes Zuhause. Mindestens seit Biblis und Startbahn West, wahrscheinlich aber schon seit Frankfurter Straßenschlachttagen reimt man hier, wenn man mit etwas unzufrieden ist. Die Qualität des Protestreimes lässt aber hier und da deutlich zu wünschen übrig.
    Auf der Straße zwischen Langen und Dieburg, kurz vor der Ortschaft Münster, steht ein Schild mit dem verzweifelten und vielleicht auch deshalb missglückten Wurf:
«Ohne Not
macht die EU Existenzen tot»
    Ich wage die Behauptung, dass man das Anliegen des Autors ernster nehmen würde, wenn er bloß ein kleines bisschen mehr Sprachtalent hätte.

    Dieburg ist ein Ort von ungefähr 16   000 Einwohnern mit träge fließendem Straßenverkehr. Eigentlich ist hier alles träge fließend. Dieburg präsentiert sich als ein im Kern schöner und stiller Ort mit Fachwerkhäuschen und Kopfsteinpflaster, über welches eine Mutter ihr Kind zerrt. Sie haben eine Martinslaterne dabei, und wer muss die tragen? Die Mutter natürlich.

Weitere Kostenlose Bücher