In meinem kleinen Land
in die Magengrube der damaligen Pop-Ästhetik. Mit milder Ironie scheint Hütter auf «Trans Europa Express» die mächtige Punk-Bewegung sogar zu veräppeln, indem er die Gewohnheit der Ramones persiflierend den Titel «Schaufensterpuppen» anzählt: «Eins, wie drei, vier!»
Bei dem Eindruck, den Kraftwerk von sich und ihrer Arbeit vermittelt, geht es niemals um den platten Symbolismus Riefenstahl’scher Prägung, mit dem Bands wie Rammstein vor Jahren auf Effekt setzten, sondern um die Darstellung von Identität, der Identität als Deutsche. Diese Darstellung ist bei Kraftwerk so durchweg gelungen und wunderbar unideologisch, dass man Hütter und Schneider sämtliche verfügbaren Bundesverdienstkreuze umhängen müsste. Ich nehme aber nicht an, dass sie ans Telefon gehen, wenn der Bundespräsident anruft, denn sie stehen im Ruf, niemals ans Telefon zu gehen, wenn irgendjemand anruft.
Bad Kreuznach. Gehen Sie ruhig mal in die Zanzibar
17. November 2005
Der Taxifahrer in Bad Kreuznach dreht beinahe durch, als ich ihn frage, ob er beim Fußball für Mainz oder Kaiserslautern sei. Schon wieder so ein irrer Lokalpatriot. Er sei selbstverständlich für Kaiserslautern, und es gebe wohl ein paar Verräter, die zu Mainz übergelaufen seien, arme Irre. Es eine sie hier in Kreuznach eigentlich nur der gemeinsame Hass auf die Frankfurter Eintracht. Am Samstag spielen Mainz und Frankfurt in der Bundesliga gegeneinander. Es wird mit Krawallen gerechnet. Irgendwie kommen mir die Pfälzer ein bisschen vor wie die berühmten Gallier aus dem kleinen Dorf in Frankreich. Immer von Feinden umzingelt und hungrig nach deftigem Essen.
Bad Kreuznach ist eine zauberhafte Stadt mit 50 000 glücklich herumspazierenden Einwohnern, die gerne ins Thermalbad gehen oder durch ihr Klein-Venedig genanntes Altstädtlein, wo Nahe und Ellerbach zusammenfließen, was zum Bau manch entzückender Brücke Anlass gegeben hat. Der Reiz Bad Kreuznachs beflügelte sogar die Weltgeschichte, denn nirgends sonst als hier in Bad Kreuznach trafen sich 1958 Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, um das Thema Erbfeindschaft endgültig ad acta zu legen und die platonische Liebe zwischen Frankreich und Deutschland in Gang zu bringen, was mittelfristig zum Elysée-Vertrag und langfristig zu vielen tausend Städtepartnerschaften geführt hat. Bad Kreuznach ist mit Bourg-en-Bresse befreundet.
Städtefreundschaften sind etwas sehr Deutsches. So eine Partnerschaft umfasst nicht bloß einen Nichtangriffspakt für den Fall, dass sich die Länder doch wieder scheiden lassen und Krieg gegeneinander führen, sondern auch den Austausch von Schülern, Sportmannschaften sowie regionalen Spezialitäten und Blaskapellen. Meine Heimatstadt Meerbusch ist zum Beispiel mit der Gemeinde Fouesnant in Frankreich befreundet. Ich war mal dort, zum Sportleraustausch. Beim hoch verlorenen Fußballmatch gegen eine viel zu alte französische Auswahl bekam ich einen Wadenkrampf, der von einem bretonischen Spieler behandelt wurde, was ich angesichts unserer Unterlegenheit beinahe schon arrogant fand.
Anders als die drei Städte zu Anfang dieser Woche ist Bad Kreuznach auch bewohnt. Ich bin nach Langen, Dieburg und Bodenheim regelrecht ausgehungert und in meiner Alleinreisendenmelancholie ganz scharf auf Menschen, die Bratwürste essend durch Innenstädte latschen.
Lesung in einem auf Anhieb merkwürdigen, dann aber am Ende herrlichen Etablissement, nämlich einer ehemaligen Tanzschule aus den fünfziger Jahren mit einer wunderbaren Bar und plüschigen Sitzecken, die ein bisschen nach Nachtclubkulisse in einem Fernsehkrimi aussehen. Natürlich wird in der «Zanzibar» bei der Lesung geraucht, aber das macht mir nichts aus. Stimmung bestens, auf dem Rückweg durch die Altstadt kurz der Impuls, noch in eine Kneipe zu gehen und Menschen kennenzulernen.
Am nächsten Morgen dann Spaziergang durch den Schlosspark, der nicht nur durch seine Großzügigkeit, sondern ganz klar auch durch seinen Namen den Verdacht erregt, dass hier ein Schloss existiert, welches ich aber nicht entdecke. Die angetrunkenen Bad Kreuznacher auf der Parkbank zucken bloß die Schultern, als ich mich bei ihnen nach dem Verbleib des Schlosses erkundige.
Wiesbaden. Boney M. mit viel Glutamat
18. November 2005
Bin schon wieder in Mainz, diesmal, um nach Wiesbaden umzusteigen. Mainz! Drehscheibe des nationalen Bahnverkehrs. Wenn man wenig später auf dem Wiesbadener Hauptbahnhof ankommt, fühlt man sich
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