In meinem kleinen Land
Bestellung auslieferte, und als er damit fertig war, setzte ich mich ins Wohnzimmer. Der Lieferant kam und schnackte mit Opa über Fußball. Dessen Verein war Bayer Uerdingen, zufälligerweise galt das auch für Mister Frost. Ich wette, an der nächsten Tür war er für Fortuna Düsseldorf. Der Opa bestellte also, und der Fahrer schlug ihm vor, mal den Apfelkuchen zu probieren. Als er ging, lief ich hinterher.
«Haben Sie meine Zettel nicht gesehen?»
Er stellte sich doof.
«Wat für Zettel?»
«Die Zettel in der Tiefkühltruhe.»
«Ach so, die. Wenn er wat nicht will, dann kann er mir das ja selber sagen. Er ist der Kunde. Und nicht du.»
«Bringen Sie ihm nichts mehr, was er nicht auch isst.»
«Dat kannste mir überlassen. Dat geht dich ’n Scheiß an.»
«Das ist eine richtig miese Tour», sagte ich. Ich war zu jung, um ihm zu drohen. Er antwortete nicht darauf und stieg in seinen Wagen. Er kurbelte das Fenster runter und wollte etwas sagen. Aber ich kam ihm zuvor.
«Das wird er doch nie im Leben verbrauchen. Irgendwann stirbt er und hinterlässt einen riesigen Berg Torte», sagte ich.
Und er: «Na ja, vielleicht erbst du ja was davon. Is alles lecker.» Dann fuhr er davon. Der Opa starb nicht. Jedenfalls nicht, solange ich meinen Zivildienst bei ihm abgeleistet hatte. Zum Glück.
Andernach liegt etwas unentschieden am südlichen Rand der Eifel und nördlichen Rand des Hunsrücks. Es ist nicht weit bis zum Nürburgring und auch nicht weit nach Bonn. Nach Koblenz ist es aber ebenfalls nicht weit. Komisch. Nichts ist hier weit weg, und dennoch befindet man sich in der tiefsten Provinz. Auch der Dialekt kommt mir wenig festgelegt vor, irgendetwas zwischen Kölner Singsang und undefinierbarem Platt.
Diese Undefiniertheit hat Tradition. Schon vor Jahrhunderten konnte man sich nicht recht einigen, wer Andernach regieren sollte, nämlich entweder der Bischof von Köln oder der von Trier. Man spaltete die Macht auf, und Andernach wurde in weltlichen Angelegenheiten von Köln regiert und in kirchlichen von Trier.
In Andernach kann man einen kleinen Stadtrundgang machen. Der führt natürlich auch an Vater Rhein entlang. Noch stärker als vom Fluss wird das Örtchen von einer riesigen Malzfabrik dominiert, die wirklich mitten in der Mitte liegt und die Kirche um ein Mehrfaches zu überragen scheint, als habe ein unartiges Kind einen viel zu großen Klotz in sein Spielzeugdorf gelegt. Beinahe anarchisch sieht das Gebäude aus, wie es Andernach unter sich zwingt. Die Malzfabrik verbreitet überall in den Gassen einen stechenden Geruch und hat einen eigenen Anleger am Fluss. Der wurde 1907 erbaut, und bald wird er nicht mehr gebraucht, weil das Unternehmen Richtung Koblenz umzieht, wie es im Ort heißt. Dann duftet es nicht mehr nach Malz.
Ich laufe ein bisschen an der alten Stadtmauer entlang, durch die Straßen der Altstadt. Hier kann man schon leben. Der große Charles Bukowski war gebürtiger Andernacher. Ob Bukowski wohl Annenache Platt gesprochen hat? Man darf diesen Dialekt keinesfalls mit Kölsch verwechseln. Er klingt für Auswärtige zwar ähnlich, hat aber eine Menge eigener Vokabeln. Man spricht zum Beispiel in Anlehnung ans Französische vom Drottewaar, wenn man den Bürgersteig meint, und von der Krommbiere (Kartoffel) und deckt sich nachts mit dem Plümmo zu. Die Andernacher werden auch «Siwweschlööwe» genannt, also Siebenschläfer.
Das Publikum ist heute auf eine sehr seltsame Art zurückhaltend, geradezu siebenschläferisch. Später berichtet mir jemand, man habe sich einfach Sorgen gemacht, weil ich so erkältet gewesen sei.
In Andernach haben sie einen Weihnachtsmarkt mit einer gigantischen Krippe. Und diese Krippe, Jesusmariaundjosef, diese Krippe wird von echten lebendigen Menschen bewohnt. So kündigt das jedenfalls ein Plakat an. Wäre auch ein schöner Job für ausrangierte Bundesminister. Jürgen Trittin als Josef. Müsste sich natürlich umziehen dafür. Aber sonst würde das schon passen.
Am nächsten Morgen vor meiner Abreise aus Andernach sehe ich fern. Die Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin. Unser neuer Bundestagspräsident Norbert Lammert ist eine echte Betriebsnudel. Ich glaube, er arbeitet darauf hin, den Orden wider den tierischen Ernst zu bekommen. Jedenfalls macht Lammert einige gute Witze bei der Kanzlerinwahl. Immer, wenn es lustig wird, kommt Angela Merkel ins Bild. Sie lächelt gequält. Oder unterdrückt sie am Ende nur einen Rülpser?
Bonn. Beethoven ist
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