In meinem kleinen Land
taub, die braune Ente ist frei, und Beuel ist gefährlich
22. November 2005
Mir fallen zwei berühmte Leute ein, die aus Bonn kommen: Guido Westerwelle und Ludwig van Beethoven. Bisher ist aber nur einem von ihnen ein Museum gewidmet, das ich mir ausführlich ansehe. Das Beethoven-Haus sei da vorne, brummt ein Bonner Rentner und fuchtelt mit den Armen, aber da seien sowieso bloß Japaner, das lohne sich nicht. Der Mann hat unrecht.
Es rennen zwar tatsächlich Japaner in Ludwigs Geburtshaus rum, aber die stören mich nicht, zumal ich einen akustischen Führer für die Ausstellung geliehen habe und siebzig Minuten durch das Leben des großen Komponisten wandere. Hier die basic facts: Beethoven ist mit zweiundzwanzig Jahren nach Wien gezogen und nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt, woran sich Guido Westerwelle mal ein Beispiel hätte nehmen können. Er hat wie Westerwelle nie geheiratet, aber sehr rührende Liebesbriefe an verschiedene Damen geschrieben und der einen oder anderen auch Werke zugeeignet, wie man damals sagte. Die Mondscheinsonate zum Beispiel. Beethovens ohnedies recht tyrannischer Vater fälschte Ludwigs Alter, um ihn besser als Wunderkind vermarkten zu können, als gewissermaßen zweiten Mozart. Das misslang aber und führte dazu, dass sich Beethoven über sein wahres Alter zeitlebens nicht recht im Klaren war. Das ist furchtbar.
Beethoven ist in Wien Dutzende Male umgezogen, eigentlich saß er immer auf gepackten Koffern. Er nutzte dort mindestens zweiundzwanzig verschiedene Wohnungen, dazu Sommerresidenzen und etliche Häuser außerhalb Wiens. Manchmal war er nicht mit den Vermietern, manchmal nicht mit der Aussicht oder mit den Nachbarn einverstanden. Ein misanthropischer Querulant, möchte man sagen.
In der ersten Etage steht eine Büste, die als einzige originalgetreue Abbildung von Beethoven gilt. Der Künstler hat dafür eine Gipsmaske vom Komponisten nehmen dürfen. Man kann daher objektiv sagen, dass Ludwig van Beethoven nicht unbedingt ein Fest fürs Auge war. Er besaß schlimme Pockennarben, eine unförmige Nase und eine große Narbe zwischen Unterlippe und Kinn. Seine Mundwinkel hingen karpfenartig nach unten, der kartoffeleske Kopf saß auf hängenden Schultern. Beethoven war klein und gedrungen und hatte offenbar die Ausstrahlung eines Serienmörders kurz nach seiner Ergreifung.
In einer Vitrine liegen die Gründe für die übellaunige Aura des Mannes: seine Hörgeräte. Gießkannenartige Rohre, gesiebte Trichter, riesige phantastische Blechschnecken, die er sich an den Kopf schnallte, um arbeiten zu können. Leider halfen diese Prothesen kaum. Schon mit einunddreißig war er schwerhörig, sein Zustand verschlimmerte sich stetig, und dann kam auch noch ein beständig durchs Hirn rauschender Tinnitus dazu.
In einem ausliegenden Brief wirbt er um Verständnis. Er sei doch gar nicht schlechtgelaunt, er leide bloß unendlich unter seiner Taubheit. Besucher können sich anhören, wie Beethoven seine eigene Musik in den unterschiedlichen Stadien seiner Ertaubung gehört haben muss. Es klingt, als öffnete man bei strömendem Regen ein Fenster, um weit in der Ferne so etwas wie Musik zu erahnen. In ruhigen Stunden, wenn er in der Natur unterwegs war und – wie man heute sagen würde – mal so richtig runterkam, war er glücklich. Seine Briefe verraten das. Wie Beethoven wohl reagieren würde, wenn er durch ein Wunder noch einmal auf die Erde käme, man ihm ein topmodernes Hörgerät einsetzte und ihm dann seine fünfte Symphonie vorspielte, unter besten Bedingungen natürlich: im großen Musikvereinssaal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, mit den Wiener oder Berliner Philharmonikern unter, sagen wir mal, Simon Rattle oder Claudio Abbado. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Instrumente heutzutage anders klingen als damals und die Musiker sie viel besser spielen können. Ob Beethoven weinen, in Ohnmacht fallen oder bloß mit offenem Mund staunen würde? Ob sich sein Karpfenmund in den eines Delphins verwandeln würde?
Außer dem Beethovenhaus gibt es natürlich noch viele andere kulturelle Highlights in Bonn. Dazu gehört unbedingt der phänomenale Weihnachtsmarkt mit einer erstklassigen Currywurst, die ich direkt am Stand verzehre. Neben mir steht eine ausgemergelte Kettenraucherin, die sich mit einem Bekannten unterhält. Sie ist offenbar Wirtin und berät den Mann, der eine neue Kneipe aufmachen will. In Bonn-Beuel.
Sie: «Jeh nisch nach Beuel.»
Er:
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