In meinem kleinen Land
verputzt und frage mich, ob vielleicht beim Hersteller nun ein kleines rotes Lämpchen auf seiner Deutschlandkarte aufleuchtet: «Achtung, Achtung, wir müssen sofort dreihundert Kilo Quargel nach Münsing liefern.»
Gestern war ich in der oberfränkischen Metropole Bayreuth, einer Stadt, die mich auf Anhieb sehr überrascht hat, vor allem dadurch, dass man sie auf der ersten Silbe betont. Achtunddreißig Jahre lang habe ich immer Bayreuth gesagt, und nun muss ich feststellen, dass es tatsächlich Bayreuth heißt. Behauptet nicht nur die Taxifahrerin, sondern auch die junge Dame im Hotel «Goldener Anker», die gekleidet ist wie der zehnjährige Wolfgang Amadeus Mozart. Das ist hier die Dienstuniform. Im «Goldenen Anker» haben schon total viele berühmte Persönlichkeiten übernachtet: Friedrich Nietzsche, Mark Twain, Herbert von Karajan, Peter Tschaikowsky, Richard Strauss. Dafür geht der Fernseher nur an, wenn man das Batteriefach der Fernbedienung öffnet und die Batterien dreht. Wieso funktionieren Fernbedienungen wieder, wenn man die Batterien dreht? Und darf man anstatt «Fernbedienung» auch «Quargel» dazu sagen?
Ich mache meinen obligatorischen Stadtrundgang, passiere dabei das Opernhaus (leider geschlossen), das Schloss der Markgräfin Wilhelmine (leider geschlossen) und das Haus Wahnfried (leider geöffnet). Hinter diesem früheren Wohnsitz Richard Wagners befindet sich im Garten das Grab des Komponisten und seiner Gattin, zudem das seines Hundes Russ. Dessen Grabinschrift lautet: «Hier liegt Russ und wartet.» Hübsch. Allerdings liegt hier nicht nur ein Hund begraben, sondern zumindest nach aktueller Auffassung auch ein eklatanter Verstoß gegen das «Tierische Nebenprodukt-Beseitigungsgesetz» vor. Dieses verbietet nämlich das Vergraben toter Haustiere. Es gibt Ausnahmen, die von den Landesbehörden definiert werden, und sie betreffen mehrheitlich Wellensittiche, Meerschweinchen und Katzen, nicht aber Neufundländer, die man mindestens einen halben Meter tief vergraben muss, sofern das Grundstück nicht in einem Wasserschutzgebiet liegt, wo man überhaupt niemanden vergraben darf.
Tiere, erst recht in der Größenklasse von Russ, gelten als Objekte der Materialkategorie 1, es besteht demnach Seuchengefahr. Heutzutage würde Richard Wagner für das Beerdigen seines Hundes im eigenen Garten eine Geldbuße in Höhe von bis zu 200 000 Euro drohen. Es ist unter diesen Umständen überhaupt kein Wunder, dass es so geniale Künstler wie Richard Wagner in Deutschland gegenwärtig nicht gibt, denn heute hätte so jemand gar keine Zeit, sich mit der Tonsetzerei zu befassen, weil er ständig seinen Müll trennen müsste und Ärger mit dem Bayreuther Gesundheitsamt hätte, weil denen der Tristan zu laut wäre: «Herr Wagner, wenn Sie die Waldhörner und die Kesselpauken entfernten, ergäbe sich eine Lautstärkereduktion von vierzehn Dezibel.»
Wagner hat tiefe Spuren in Bayreuth hinterlassen, die man aber fast das ganze Jahr über kaum sieht. Ein paar Wochen vor dem jährlichen Beginn der Richard-Wagner-Festspiele explodiert das kleine Städtchen aber regelrecht und putzt sich und schmückt sich und ändert die Preisschildchen am Kuchen. Dann können die Gäste kommen. Das sieht man in der Tagesschau vor dem Wetter.
Bayreuth soll eine ausgesprochen vitale Sexszene haben, besonders zu Festivalzeiten. Männer mit weißen Brusthaaren unterm Frack geben hinterher einen aus und spielen mit tschechischen Prostituierten die Schlüsselszenen des Rings nach.
Die Stadt lediglich auf Wagners Wirken zu reduzieren, wäre übrigens ungerecht, denn immerhin lebte hier auch Wilhelmine von Bayreuth, und die hat einiges für den Ort getan, zum Beispiel den Bau des Markgräflichen Opernhauses in Auftrag gegeben. Dieses hölzerne Theater steht heute noch, auch weil es nach dem Tod von Wilhelmine nicht mehr benutzt wurde und es auf diese Weise wenig Gelegenheit hatte abzubrennen. Wilhelmine war eine ziemlich interessante Person und die Schwester von Friedrich dem Großen. Beide litten als Kinder unter ihrem strengen Vater Friedrich Wilhelm I., einem autoritären Knochen, der es sich angeblich nicht nehmen ließ, den besten Freund des Sohnes vor dessen Augen hinrichten zu lassen. Hans Hermann von Katte hatte Friedrich II. bei dem Versuch unterstützt, vor dem Vater und damit dem Hof zu fliehen. Wilhelmine, die vom Vater ebenfalls der Mittäterschaft bezichtigt wurde, sollte in Festungshaft genommen werden oder
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