In meinem kleinen Land
sich den Heiratsplänen ihres Vaters beugen, was sie schließlich dem Gefängnis von Spandau vorzog. Sie heiratete also Friedrich von Brandenburg-Bayreuth, und die beiden vertrugen sich leidlich, womit bei einer arrangierten Ehe nicht unbedingt zu rechnen ist. Das Paar modernisierte das Land, betätigte sich als Rokoko-Bauherren und gründete in Bayreuth eine Universität. Wilhelmine unterhielt eine Brieffreundschaft mit Voltaire und schrieb tatsächlich sogar eine Oper.
Nach dem Lesen signieren und mit den Veranstaltern in eine Bar gehen. Mache ich heute mal. Ist ja der erste Termin dieses Jahr. Da bin ich noch frisch.
Am nächsten Morgen fahre ich wieder weg aus Bayreuth. Ich hatte ja gedacht, der Ort sei so ein Schatzkästlein wie Bamberg, aber leider ist das nicht so. Womöglich wegen Hitlers Wagner-Tick hielten die Alliierten Bayreuth für würdig, pulverisiert zu werden, was dann rechtzeitig zum Kriegsende sehr gründlich geschah.
Beim Stichwort Hitler fällt mir im ICE ein Abendessen ein, zu dem ich neulich eingeladen war. Es entwickelte sich anschließend beim Espresso (man bekommt auch in privaten Küchen nirgends mehr Kaffee, nur Espresso oder Latte Macchiato, obwohl das ein Frühstücksgetränk ist, was man Deutschen nicht beibiegen kann, aber das ist ein anderes Thema) eine lebhafte Diskussion, die indirekt mit Hitler zu tun hatte. In München gibt es nämlich ein jüdisches Restaurant, welches mit Hilfe einiger Werber eine sehr auffällige Eigenreklame an die Öffentlichkeit gebracht hat. Auf einem Plakat steht in Frakturschrift: «Deutsche, esst bei Juden.» Auf einem anderen ist zu lesen: «Deutsche, trinkt bei Juden.» Nun stellt sich die Frage: Darf man das?
Die Werber sagen natürlich: ja. Klar dürfe man das. Hurra, endlich sei das Verhältnis von Juden und Deutschen so wunderbar unverkrampft, dass man mit der Pogrom-Parole «Deutsche, kauft nicht bei Juden» umgehen könne wie mit «Willi wählen» oder «Wir sind das Volk». Und der jüdische Wirt des Lokals äußerte in der «taz», er habe «provozieren» wollen.
Meine Meinung dazu ist, dass der Wirt lieber anständig kochen soll. Ich gehe nämlich nicht deshalb in ein Restaurant, weil es von Juden geführt wird, sondern weil das Essen dort gut ist. Das mache ich bei italienischen Restaurants und bei japanischen genauso. Außerdem rückt die Reklame des Restaurants den Holocaust nicht fünftausend Jahre in die Vergangenheit, sondern direkt in die Gegenwart. Sonst würde man nicht zwei Stunden lang darüber diskutieren.
Aber letztlich führt diese Werbung ohnehin in eine gedankliche Sickergrube. Das merkt man spätestens, wenn man sich überlegt, wie die Kampagne fortgesetzt werden könnte. Ich hätte Vorschläge für die Agentur. Da gibt es doch noch mindestens zwei berühmte Sätze, die das Verhältnis von Juden und Nazis recht treffend beschreiben. Einer lautet «Jedem das Seine». Dies stand auf dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald. Könnte man das nicht wunderbar umdichten in: «Jedem das eine: Unsere Weine.» Oder dieser Satz: «Arbeit macht frei». (Dachau, Auschwitz, Sachsenhausen, Flossenbürg, Groß-Rosen). Nach einem Gläschen Wein wird daraus spielend: «Arbeit macht Brei.» Ach, das finden Sie nicht komisch? Ich auch nicht. Und wenn die Werber und der Wirt noch alle Tassen im Schrank haben, finden sie ihr eigenes Plakat auch nicht mehr komisch.
Berlin. Im Taumel zwischen Alt und Neu
27. Januar 2006
Man fährt mit dem Taxi vom Flughafen Tegel in die Stadt und denkt sich: Klar! Det is Osten. So wat von runtajekomm’. Dabei fährt man gar nicht durch den Osten, sondern durch Moabit, altes Westgelände. Dann aber auch durch ein Stück Osten, an der Charité vorbei. Ist ja sehr hässlich. Klar. Bei mir gibt es immer noch Osten und Westen, zumindest in Berlin. Vielleicht wäre das etwas anderes, wenn ich hier leben würde. Aber als Besucher spüre ich immer noch und immer wieder das prickelnde Gefühl, zwischen Ost und West zu pendeln. Diese Pendelei erzeugt aber nicht nur das Gefühl, ständig Zeitzeuge des Wandels in dieser Stadt zu sein, sondern auch einen elenden Entscheidungsdruck.
Ständig muss man sich entscheiden: zwischen dem alten und dem neuen Berlin. Also dem Günther-Pfitzmann-Berlin und dem Wir-sind-Helden-Berlin, dem Harald-Juhnke-Berlin und dem Leander-Haußmann-Berlin. Zwischen dem Welt-Berlin und dem Frankfurter-Allgemeine-Sonntagszeitungs-Berlin. Zwischen Charlottenburg und Mitte.
Ich entscheide
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