In meinem kleinen Land
Museen gerne auf Knöpfchen drücken. Das kann man hier sehr ausgiebig, und es macht viel Freude, auch wenn der Erkenntniswert der vieltausendfachen Vergrößerung einer menschlichen Zelle enge Grenzen hat. Ich finde ja, dass man dabei immer ein sehr gutes Gefühl für die handwerklichen Fähigkeiten eines Modellbauers bekommt, aber eher keines für das Wirken der Zellbestandteile. Egal. Das ganze Museum strahlt eine Joachim-Bublath-mäßige Lässigkeit aus, von der man nicht mehr als Staunen lernt. Das Staunen steht heutzutage offenbar höher im Kurs als das Wissen, das oft mit Staunen verwechselt wird.
Um noch viel mehr zu staunen, mache ich mich auf den Weg zur Frauenkirche. Ist nicht weit, Viertelstündchen. Die Gegend um die Frauenkirche erinnert mit ihrem aktionistischen Baustellengedöns sehr an Berlin. Als ich auf die Frauenkirche zugehe, steigert sich meine Vorfreude in eine Art patriotischbildungsbürgerliche Raserei. Jawoll! Das muss man jetzt einfach gesehen haben. Ich öffne eine Tür und stehe in einer Art Foyer, in dem mir aber die Sicht von den Mützchen und Hüten einer älteren Reisebusbesatzung verstellt wird. Kann ich hier mal durch, darf ich mal, danke. Ich ackere mich durch den Touristenkloß, bis sich mir eine Frau von etwa fünfzig Jahren in den Weg stellt und mir wütend in die Augen schaut. Dann schleudert sie mir hasserfüllt entgegen:
«Sie können sich hier nicht reindrängen!»
«Wie bitte?»
«Das gibt’s doch gar nicht.»
«Was gibt’s nicht?»
«Sich hier in eine bezahlte Führung reinmogeln.»
«Was denn für eine Führung?»
Schnappatmung: «Bezahlte Führung! Bezahlte Führung!»
«Wovon reden Sie eigentlich? Und warum schreien Sie mich so an?»
«Sie haben sich hier einfach in eine Führung reingeschlichen, zu der Sie gar nicht gehören.» Es ist keineswegs so, dass ihre Stimme sich beruhigt, im Gegenteil. Sie hyperventiliert, sie erreicht einen Zustand von postmenopausaler Hysterie.
«Ich habe mich nirgendwo reingeschlichen.»
«Doch, das ist eine Führung für andere.»
«Jetzt lassen Sie mich doch endlich mit Ihrer doofen Führung in Ruhe. Ich wollte lediglich die Kirche ansehen und sonst gar nichts.»
Ich will auf den Innenraum der Kirche zustreben, aber sie hält mich nun am Arm fest und zetert: «Die Kirche ist geschlossen.»
«Ich denke, da ist jetzt eine Führung?»
«Aber dann ist die Kirche geschlossen, da ist jetzt Orchesterprobe.»
Aha, da kann man nichts machen. Das ist aber noch lange kein Grund, sich derart aufzuregen. Und das sage ich der Frau auch, worauf sie mich anschreit: «Verlassen Sie jetzt die Kirche!»
Ich drehe mich um und gehe grußlos. Ich habe mich wirklich auf diese Kirche gefreut. Sollen sie mir doch den Buckel runterrutschen mitsamt ihrer Zuckerbäckerkirche. Erst jahrelang penetrant um Spenden betteln und dann die Besucher anbrüllen.
Gehe ich eben zur Semperoper, die zu dem Kalauer einlädt, genauso auszusehen wie die Radeberger Brauerei in der Fernsehreklame. Die Semperoper ist bereits: geschlossen. Die letzte Führung war um 14.30 Uhr.
Nebenan befindet sich der Zwinger. Die Keramik-Sammlung ist übrigens – Sie ahnen es – geschlossen. Ausweislich eines Schildes werden die Exponate abgestaubt. Ich komme nun langsam ikonoklastisch in Wallung, und deshalb wäre es überhaupt keine gute Idee, die Gemäldesammlung anzugucken. Ich gehe stattdessen in die Rüstkammer und sehe mir Säbel, Degen, Pistolen, Harnische und Rüstungen an, was gut zu meiner Stimmung passt.
Man empfiehlt mir zum Essen die Gegend um die Kreuzkirche, wo ich in einem sehr stylishen Lokal voller schöner Dresdnerinnen Platz nehme. Die Dresdner Damenwelt muss man als herausragend bezeichnen.
Im Hotel wärme ich mich auf, dusche und lande beim Zappen in einer Sendung, die «Sachsenspiegel» heißt und in der gezeigt wird, wie ein Hubschrauber mit seinem Rotorwind den Rasen des Dresdner Fußballstadions trocken föhnt. Das scheint mir eine ziemlich verkasperte Idee zu sein. Angeblich funktioniert das aber, wie ein aufgeregter Reporter mitteilt. 1860 München kann einem jetzt schon leidtun.
Nach dem Signieren beim Plaudern erzähle ich dem Buchhändler von meiner Begegnung in der Kirche. Er seufzt. Ja, das käme öfter vor, wirft er ein. Dann berichtet er, dass man in der Kirche mit dem Besucheransturm nicht gut klarkäme und dass dort aber auch unfassbar viel geklaut würde. Alles, was nicht festgeschraubt sei, sackten die Touristen ein. Der Deutsche
Weitere Kostenlose Bücher