In meinem kleinen Land
Weimar die Beilage mit dem Hauptgericht wedelt. Da steht nämlich nicht «Gulasch mit Thüringer Klößen», sondern «Thüringer Klöße mit Gulasch». Erst belächle ich diese ulkige Wendung, doch dann fällt mir auf, dass das hier alle machen. Die bilden sich hier nicht nur auf ihre Klassik, sondern auch auf ihre Klöße echt was ein.
Der Veranstalter der heutigen Lesung erklärt mir bei einem Besuch der Buchhandlung, wo ich abends zum Lesen hingehen müsse, und ich frage ihn, wie viele Zuschauer kämen. Da sieht er mich mitleidig an und sagt, die Buchhandlung habe zwanzig Karten verkauft. Das macht mich stutzig. «Zwanzig Karten? Das ist aber nicht sehr viel.» Daraufhin hält er mir einen Vortrag, dem zufolge die Weimarer ausgesprochen feinsinnige und intellektuelle Menschen seien und für so jemanden wie mich kaum zu erwärmen.
Ich werfe ein, dass ich auch in Bonn und in Freiburg gelesen hätte, und da sei es sehr gut besucht gewesen. Darauf nickt er, als höre er einem Kleinkind zu, und antwortet: «Sie erwähnen Freiburg und Bonn, weil da auch Universitäten sind!? Hm? Aber Weimar ist schon nochmal was ganz anderes.»
Ich gehe ins Hotel und frage mich, wie ich es überhaupt wagen kann, in der Kulturhauptstadt Europas 1999 auch nur meinen Koffer abzustellen. Als ich um zwanzig Uhr im «Mon Ami» eintreffe, sind dann doch mehr Zuschauer da als erwartet.
Anschließend trinke ich mit einer netten Frau und einem Professor von der Bauhaus-Universität noch einen Wein. Manchmal geht den beiden das Goethe-Getue auf den Zeiger, was sie aber zurückhaltender formulieren. Jedenfalls kämen die ausländischen Gäste – besonders die Amerikaner – eher wegen Walter Gropius als wegen Wolfgang Goethe nach Weimar. Das Bauhaus sei in der ganzen Welt berühmt, Goethe gelte doch wohl eher als Nationaldichter.
Und dann erzählen mir die beiden noch eine bemerkenswerte Geschichte. Sie hätten nun beide schon mehrfach erlebt, dass Grundschüler in ihrem Bekanntenkreis Stirnlampen zum Geburtstag bekommen hätten. In Weimar sei das jetzt ein unverzichtbarer Ausrüstungsgegenstand, wenn man in den Wintermonaten zur Schule müsse. Man hat sich das etwa so vorzustellen: In der super sanierten Innenstadt strahlen die Kultur- und Baudenkmäler um die Wette, außen rum zuckeln die Kinder im Dustern zur Schule und sehen dabei aus wie die sieben Zwerge auf dem Weg ins Bergwerk. Für die Beleuchtung des Schulwegs haben sie in der Kulturstadt Weimar offenbar kein Geld.
Dresden. Mister Ctvrtlik sollte die Frauenkirche meiden
9. Februar 2006
Man kommt mit dem Zug aus Weimar und rollt an Millionen von Kleingärten vorbei. In Radebeul, kurz vorm Ziel, stehen herrliche Villen, richtige alte Prunkkästen auf Hügeln, von denen aus man womöglich bis Tschechien sehen kann. Aber eben vor allem Kleingärten mit Häuschen. Der Sachse wulackt halt gern in seiner Scholle. In Dresden-Neustadt, also immerhin ziemlich im Zentrum, passiert der Zug eine gigantische Schrebergarten-Kolonie, die auf den total unzutreffenden und daher amüsanten Namen «Fortschritt» getauft wurde. Ist wahrscheinlich noch in früheren Zeiten geschehen, als man Sportmannschaften «Turbine» nannte.
Mit dem Taxi geht es ins Hotel, das heute auch die Fußballer vom TSV 1860 München beherbergt. Das Team spielt in der zweiten Liga und würde gerne wieder aufsteigen, schon wegen der Investition in die Allianz Arena. Dafür muss aber morgen Dresden besiegt werden, das wiederum gegen den Abstieg kämpft. Ob es zu diesem Spiel kommt, ist fraglich, weil der allmählich tauende Schnee den Dresdner Rasen unter Wasser gesetzt hat. Und es gibt ja nicht überall Rasenheizungen mit daran angeschlossenem Atomkraftwerk wie in München.
Die Autos fahren hier mit dem Kennzeichen «DD» herum. Gleich nach der Wiedervereinigung entstand eine gewisse Aufregung um dieses Kürzel. In meiner Heimatstadt steht nämlich «D» auf den Nummernschildern. Und aus Dresden erklang damals der Ruf, dass dieses «D» eigentlich Dresden zustünde. Daraufhin brach in Düsseldorf hysterisches Gelächter aus, und die Zeitungen titelten sinngemäß: «Sachsen wollen uns unser ‹D› wegnehmen.» Es gab Leserzuschriften, denen zufolge die Dresdner sich kennzeichenmäßig mal ganz hinten anstellen könnten, also ungefähr hinter Bad Dürkheim/Weinstraße (DÜW). Am Ende erhielt Dresden dann «DD» und fühlte sich vom Westen betrogen.
Das Hygienemuseum ist eine piekfeine Adresse für alle, die in
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