In meinem kleinen Land
ist des Deutschen Wolf.
Ich stehe mit einem Angehörigen des Trainerstabes, dem Masseur oder dem Fahrer (wer weiß das schon) der Sechz’ger, im Aufzug des Hotels.
«Und? Spielen Sie morgen?»
«Des entscheid’ sich morgn früh.»
«Die blasen den Platz mit dem Hubschrauber trocken.»
«Dafür hams Geld.»
«Jaja.»
«Soll’ns lieber amoi die Spielerg’hälter zoin. Da wer’ns laufen wie’d Has’n.»
Der muss reden. Wie man hört, geht es 1860 München auch nicht viel besser. Wir steigen aus und gehen den Flur entlang.
«Schlafen Ihre Spieler schon?»
«Schloffan tun’s vielleicht net, aber a Ruh’ is.»
«Gute Nacht.»
«Servus.»
Sechs Stunden später klingelt mein Wecker. Auf zum Flughafen. In Bayern massive Schneefälle, trotzdem starten wir einigermaßen pünktlich um sieben Uhr. In der Zeitung lese ich einen unglaublichen Namen. Und der Mann ist kein Russe. Er ist Kalifornier und heißt Robert Ctvrtlik. Mister CTVRTLIK ist Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee und der Anti-Doping-Kommission. Und das, obwohl er selbst gedopt ist, und zwar mit gleich sechs aufeinanderfolgenden Konsonanten.
Ich brauche dann sechs Stunden nach Hause. Überall Schnee. Aber die Fußballspieler von 1860 haben noch weniger Glück als ich. Sie verlieren gegen Dresden 0 : 2. Und auf dem Heimweg nach München bleibt ihr Bus liegen.
Fulda. Kandidaten mit Bärten
20. Februar 2006
Früher lag das hessische Fulda ungefähr gleich weit vom Todesstreifen und von der bayerischen Grenze entfernt. Inzwischen hat diese Lage ihren Schrecken verloren, sogar ein ICE hält in Fulda, man muss nicht umsteigen, wenn man aus München kommt, das erleichtert die Reise enorm.
Ich werde nun einen Satz schreiben, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich ihn einmal wahrheitsgemäß in die Tastatur tippen könnte. Achtung: Der ICE erreicht Fulda zwei Minuten zu früh. Der schieren Ungeheuerlichkeit wegen noch einmal: Der ICE erreicht die Bischofs- und Zwiebelkuchenstadt Fulda zwei Minuten zu früh.
Im Hotelzimmer finde ich einen Brief der Hotelleitung vor. Man entschuldigt sich schriftlich bei den Hotelgästen, weil die Pay-TV-Kanäle nicht funktionieren. Genauso gut könnten die auch schreiben: «Liebe männliche Hotelgäste, leider können wir Ihnen zurzeit keine gebührenpflichtige Masturbationshilfe zur Verfügung stellen.» Das ist die Wahrheit, die bloß davon überschminkt wird, dass in der Regel neben Pornos auch noch andere Filme im Hotelfernsehen angeboten werden. Diese gibt es aber in Wahrheit nur, damit die männlichen Hotelgäste beim Auschecken nicht rot werden müssen, wenn die hübsche junge Dame an der Rezeption die Rechnung klarmacht. Es könnte ja sein, dass der Gast «Hitch – der Date-Doktor» oder «Bridget Jones» angeschaut hat. Aber Hand aufs Herz: Es ist nicht sehr wahrscheinlich.
Beschwingt laufe ich durch Fulda und bleibe an einer Ampel stehen. Dort hängt ein Wahlplakat der SPD, auf dem die Kandidaten in Passbildgröße abgebildet sind. Es wird bald gewählt in Hessen, und die SPD gilt in Fulda traditionell als völlig chancenlos. Die Fotos der tapfer kandidierenden Sozialdemokraten sind von erschütternder Qualität. Sieht aus wie ein Infoblatt zur Hautkrebsvorsorge. Ich zähle sechzehn männliche Kandidaten, von denen neun einen Bart und zehn eine Brille tragen. Einige sehen aus wie mein Mathelehrer, damals auf dem Gymnasium.
Der Mann hatte es schwer mit mir. Ich war eine vollkommen hohle Nuss in Mathematik, ich glaube, ich litt unter einer milden Form der Dyskalkulie, die mich auch nie wieder verlassen hat. Ich gebe deshalb oft viel zu viel Trinkgeld, was ja nicht das Schlimmste ist.
Bevor ich Mathe abwählte, was damals in der gymnasialen Oberstufe von NRW ganz gut ging, hatte ich diesen einen humorvollen und klugen Lehrer, der sehr daran litt, dass Menschen wie ich keinen Sinn für die Ästhetik mathematischer Gleichungen und für die schöpferische Eleganz dieser Wissenschaft besitzen.
Als ich einmal, ein einziges Mal, im Unterricht verkündete, soeben etwas begriffen zu haben (es ging um irgendetwas, was mit Bernoulli zu tun hatte, ich weiß aber nicht mehr, was es war und um welchen der zahlreichen Bernoullis es ging), schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und rief: «Soeben ist ein Wunder geschehen, die Saat der langen Jahre meines Studiums und die unendlichen Mühen haben endlich gefruchtet.» Er freute sich wirklich. Dann zertrampelte er den zarten Keim meiner
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