In meinem kleinen Land
«Sausalitos». Das ist eine Nacho-Taco-mexikanische Bier-Kneipe, die es inzwischen in zweiundzwanzig deutschen Städten gibt, und wahrscheinlich ist das «Sausalitos» der schillerndste Ort in Wolfsburg.
Die Speisekarte entpuppt sich als eine Zeitschrift, die es genau so offenbar auch in allen weiteren Lokalen dieser Marke gibt. Sie enthält einen redaktionellen Teil, dem ich entnehme, dass es beim Flirten darauf ankommt, immer zu lächeln. Wenn die Frau zurücklächelt, ist eigentlich schon alles gebongt. Ich lächele die Kellnerin an, sie lächelt zurück. Ich bestelle Wein und Wasser, ich lächle, sie lächelt. Dann sitze ich eine Weile alleine herum, bitte sie schließlich um die Rechnung. Und dann sagt das entzückende Geschöpf: «Zusammen oder getrennt?» Und ich: «Zusammen. Ich lade mich heute mal ein.» Sie lacht. Ich lache. Sie sagt, sie sei schon ganz verrückt, weil sie diesen Satz heute schon so oft gesagt habe, da käme er automatisch raus. Sie lacht. Ich lache. Ich zahle, ich lächle. Ich gebe ein schönes Trinkgeld. Sie lächelt. Wir sagen tschüs. Sie arbeitet weiter, ich gehe. Haben wir jetzt geflirtet? Je nachdem, wie einsam einer ist, würde er die Situation völlig unterschiedlich beurteilen. Ich würde aber sagen: Nein. Kein Flirt.
Am nächsten Morgen nehme ich mir vor, das «Phaeno» zu besuchen. Ich hatte es im «heute journal» gesehen, als es eröffnet wurde. Man kann dort wissenschaftliche Experimente machen und dabei etwas lernen. Ähnlich wie im Gießener Mathemuseum, aber mit einem genialen Trick: Das «Phaeno» heißt «Experimentierlandschaft» und nicht «Museum», der didaktische Anspruch zieht sich also zurück. Das Ding soll Spaß machen. Und das macht es auch. Und wie.
Hunderte von experimentellen Anordnungen, Kunstwerken und Installationen für die Besucher. Man kann Knöpfe drücken, an Hebeln ziehen, sich gegen Gummimatten werfen, optische Täuschungen erleben und allerhand naturwissenschaftliche Gaukelei. Sehr beeindruckend finde ich einen Rechner, an dem sich die Kontinentaldrift simulieren lässt. Und dies nicht nur von der entfernten Vergangenheit in die Gegenwart. Das kennt man ja: wie sich Amerika und Südamerika getrennt haben, wie Indien nach oben geflutscht ist und Australien nach der Seite. Aber wie geht es damit weiter? Das ist das entschieden Interessantere.
Ich fahre mit dem Cursor immer wieder über die Animation und muss nun leider allen Italienern zurufen: Ihr macht es nicht mehr lange. In zweihundertfünfzig Millionen Jahren seid ihr weg. Genau wie das Mittelmeer. Afrika wird dann nach Norden gerutscht sein. Es wird Spanien und vor allem Italien zerquetschen, wahrscheinlich werden die Alpen an Höhe gewinnen, denn irgendwo muss Italien ja hin. Der Atlantik entwickelt sich zu einem Binnengewässer, denn Amerika wird sich ebenfalls auf Europa zubewegen. Dann werden die Erdteile so weit zusammengerückt sein, dass man wirklich von einer globalisierten Gesellschaft sprechen kann, wenn überhaupt noch irgendjemand redet. Und wenn dem so ist, was mögen die Bewohner der Erde in zweihundertfünfzig Millionen Jahren über uns denken? Wie werden sie wohl das Zeitalter nennen, in dem wir jetzt leben?
Detmold. Lippische Rose, läppische Ängste
7. März 2006
Sitze in einem Detmolder Café und werde gefilmt. Für eine Talkshow, die am Sonntagvormittag gesendet wird. Dazu musste ich erst meinen Trolley durch Detmold ziehen, was einen höllischen Radau macht, weil die Altstadt gepflastert ist.
Und nun filmen wir, wie ich Espresso trinke und rauche und in mein Laptop tippe. Das Team dreht von außen. Durch die Scheibe. Gegenüber sitzt ein besoffener Westfale, der mich die ganze Zeit anglotzt. Er trinkt ein Pilsken. In Westfalen wird immer Pils getrunken, wenn man Durst hat.
«Wat machstu denn da?»
«Nix. Ich tue so, als ob ich schreibe.»
«Mi’n Comjuter.»
«Genau.»
Heiseres, zahnloses Lachen.
«Ich will da aba nichmitdrauf.»
«Okay.»
«Ich will nich in den Film.»
«Ich hab’s gehört.»
«Haste gehört?»
«Ja.»
«Ich will hier meinen Frieden.»
«Na klar.»
Unverständliches Gemurmel. Er holt sich noch ein Pils. Und Zigaretten.
«Seitihr bald feddich?»
«Ja, sicher.»
«Ich will da aba nichmitdrauf.»
Von ihm aus könnte das noch Stunde um Stunde so weitergehen. Der Lipper ist stoisch, weil leidgeprüft. Er nimmt seit bald sechzig Jahren eine furchtbare Demütigung hin. Es ist nämlich so: Das Landeswappen von Nordrhein-Westfalen
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