In meinem kleinen Land
ist nicht wie Werther für Süßigkeiten bekannt, sondern für Wurst.
Die Versmolder nennen ihre Gegend selbstbewusst den «Fettfleck Deutschlands», weil hier so viel Wurst gemacht wird wie nirgends sonst: Pasteten, Leberwürste mit allen möglichen Fettabstufungen, Salami, im Apfel-, Kräuter-, Knoblauch-, Parmesan- oder Röstzwiebelmantel; natürlich westfälischer, aber auch Schwarzwälder (na, so was!) Schinken, Kochschinken, Spargelschinken, Krustenschinken, Backschinken, Schweinearsch eben. Und das ist noch lange nicht alles, denn natürlich kommen von hier auch Geflügelwurst, Brühwurst, Grillwurst, Krakauer, Cabanossi und Kinderwurst in Bärchenfom. Ihrem enormen Wohlstand haben die Versmolder mit einem bronzenen Schweinebrunnen ein Denkmal gesetzt. Man sagt hier: «Das Ende des Schweines ist der Anfang der Wurst.»
Ostwestfalen ist trotz der flachländlichen Langeweile eine interessante Gegend: hier also Wurst, dort Bonbons, im nächsten Ort Freizeitkleidung, im übernächsten Bier oder Küchen oder kostbare Polstermöbel. Sogar ein weltumspannender Medienkonzern wohnt gleich um die Ecke. Bloß Bahnhöfe sind irgendwie Mangelware.
Die abendliche Fahrt von Versmold nach Werther hat einen gewissen subkulturellen Reiz, weil auf dem Weg immerhin drei Bordelle rotes Licht ins Dunkel bringen. Wenn man den ganzen Tag mit Wurst- oder Süßwaren zu tun hatte, will man eben am Abend mal was anderes sehen. Das kann ich schon verstehen.
Übrigens ist das ganze Gerede von den sturen und angeblich humorfreien Ostwestfalen völliger Unsinn. Schon im Herbst, als ich in Bielefeld, Osnabrück und Paderborn war, stimmte das nicht. In Detmold stimmt es erst recht nicht und heute Abend auch nicht. Im Gegenteil.
Besonders der Tontechniker hat es mir angetan. Er trägt einen roten Pullover wie der SPD-Politiker Ludwig Stiegler. Dürfte auch im selben Alter sein. Nachmittags hat er noch die Betriebsratsversammlung einer Wurstfabrik beschallt, dann ist er mitsamt Tonanlage nach Werther geeilt. Ton machen ist sein Hobby. Ein Butterbrot («’n Bütterken») zur Stärkung hat er abgelehnt, er wollte nur eine Flasche Cola. Als die Lesung beginnt, fällt zunächst einmal der Ton aus. Ein Kanal schaltet immer ab. Der Tonmann bleibt cool, denn wenn es Schwierigkeiten gibt, haben Westfalen den Blutdruck einer ägyptischen Mumie. Nur so ist der Aufstieg von Bertelsmann zu erklären.
Nach der Lesung rollt der rote Pullover Kabel zusammen und packt Mikros ein. Er möchte einen Witz machen und bemerkt so ganz beiläufig, dass ja die Männer eigentlich keine Beine bräuchten. Ich frage in guter alter Witzkumpelmanier: «Warum brauchen denn Männer keine Beine?»
«Ganz einfach: Zur Taufe werden wir gehoben, zum Altar werden wir geschleift, und zu Grabe werden wir getragen.» Er schaut in die Runde. Alle lachen. Jaja, die Männer.
Ich bekomme eine Tüte «Werther’s Echte» geschenkt. Aber außer dem falschen Genitiv stimmt noch etwas nicht auf der Packung. Da steht nämlich «Werther’s Original» drauf und nicht «Echte». Das wird doch nicht etwa ein Plagiat sein? Produktpiraterie? Ich sehe nach, hintendrauf steht Storck. Hm. Die haben das umbenannt und mir nichts davon gesagt.
Würzburg. Braune Berge, blaue Zipfel
10. März 2006
Herrliche Stadt. War mir eigentlich bisher vor allem wegen der Autobahnausfahrten «Kist» und «Randersacker» bekannt. Da steht man immer hinter endlosen Kolonnen von Bundeswehrfahrzeugen im Stau. Die haben Kfz-Kennzeichen, die mit «Y» beginnen. «Y-Tours! Wir buchen, Sie fluchen», sagten die Wehrdienstleistenden früher immer, wenn sie zu Übungen mussten. Habe ich natürlich nie kapiert, denn ich war ja Zivi. Erst Jahre später im Stau in Würzburg verstand ich, was mit «Y-Tours» gemeint war.
Würzburg hat eine Menge zu bieten, Panoramen zum Beispiel. Von der Mainbrücke hat man einen wunderschönen Blick auf die Festung Marienberg sowie allerlei Weinberge, die aber zurzeit aussehen wie Wanderdünen. Ganz kahl und beigebraun liegen sie da, zittern und warten wie ich auf den Frühling. Unter mir donnert der Main entlang. Er brüllt: «Platz da, ich muss Wasser zum Rhein bringen!» In Würzburg taut es nämlich, und die Sonne kommt ein wenig raus. Das macht natürlich gute Laune. Man spaziert also Richtung Residenz und vorher am Dom vorbei, wo aber gerade Gottesdienst ist.
Trotz der mannigfaltigen Zerstreuungsmöglichkeiten und obwohl die Sonne sich tatsächlich dazu herablässt, Wärme
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